Die Veröffentlichung des sogenannten "Ibiza-Videos" hat bei vielen Menschen im In- und Ausland ein verstörendes Bild von Politik entstehen lassen und das Vertrauen in die vom Volk gewählten politischen Vertreter schwer erschüttert. Die österreichische Bundesregierung steckt in einer ernsthaften Krise.
Nun sind verantwortungsvolle Entscheidungen im Blick auf das Gemeinwohl nötig, um die Lage wieder zum Besseren zu wenden. Dabei ist von allen das rechte Augenmaß gefordert, um eine Krise nicht größer zu machen, als sie ist. Vor diesem Anspruch stehen jetzt die von der Verfassung dazu berufenen Institutionen des Landes. Der Rücktritt des Vizekanzlers und die bisherigen Entscheidungen des Bundespräsidenten sowie des Bundeskanzlers, die auf baldige Neuwahlen abzielen, sind rasch erfolgt. Damit ist die Zuversicht gewachsen, dass die mit dem Video aufgeworfenen Fragen zügig, transparent und umfassend aufgeklärt werden.
Damit dies gelingen kann, müssen alle staatstragenden Institutionen des Landes - Parlament, Regierung und Rechtsprechung - auf Basis der Rechtsordnung weiter voll handlungsfähig bleiben. Dies zu gewährleisten, ist die zentrale Aufgabe des Bundespräsidenten. Die österreichischen Bischöfe danken dem Staatsoberhaupt für sein um- und weitsichtiges Bemühen um Stabilität und das nötige Vertrauen und sichern ihm darin ihre volle Unterstützung zu.
Missgunst unter politischen Verantwortungsträgern führt zu sinkendem Vertrauen der Bevölkerung in die demokratischen Institutionen. Deshalb appellieren wir an die Mitglieder der Österreichischen Bundesregierung, die politischen Parteien und alle Mandatare des Hohen Hauses, das konstruktive Gespräch über Fraktionsgrenzen hinweg zu suchen und zu führen. Wer in dieser Situation leichtfertig die staatlichen Institutionen schwächt, um kurzfristig politische Vorteile für sich zu erhoffen, kann unserem Land und seinen Menschen langfristig schweren Schaden zufügen.
Österreich hat in der Zweiten Republik alle Krisen und großen Weichenstellungen gemeistert, weil das Gemeinsame stärker war als das Trennende. Um diese Haltung ersuchen wir alle politisch Verantwortlichen sowie die Menschen im Land. Und dafür beten wir auch.
22. Mai 2019
Kardinal Dr. Christoph Schönborn
Erzbischof Dr. Franz Lackner