Glettler: Neue Herz-Jesu-Enzyklika führt zur Mitte des Glaubens
Bischof Hermann Glettler hofft, dass die neue Enzyklika von Papst Franziskus zur zeitgemäßen Wiederentdeckung der Herz-Jesu-Spiritualität beiträgt. "Die Herz-Jesu-Verehrung hat in den Augen des Papstes ein großes Potenzial, weil sie zur Mitte des christlichen Glaubens hinführt - zu einer persönlichen Verbundenheit mit Christus und zugleich zu einem herzhaften Engagement in den vielen Nöten unserer Zeit", sagte der Innsbrucker Bischof im Interview für Kathpress (Freitag) und den "Tiroler Sonntag". Franziskus gehe es stets darum, "sich von der Freude des Evangeliums erfassen zu lassen und am Aufbau einer geschwisterlichen Welt mitzuwirken". Mit dem Schreiben "Dilexit nos", in dem das Herz Jesu als "Synthese des ganzen Evangeliums" vorgestellt werde, lade der Papst leidenschaftlich dazu ein.
Der Text habe die Kraft, einen vielerorts beobachtbaren Frömmigkeitskitsch und Verkrustungen einer rein folkloristisch verstandenen Herz-Jesu-Verehrung zu überwinden, so Glettler. Diese dürfe keinesfalls "in der Mottenkiste einer schönen alten Tradition verkommen", betonte der Tiroler Bischof. "Erfrischend neu" in der Enzyklika sei "der unbeirrte Mix von Mystik und sozialem Engagement", so Glettler weiter. "Papst Franziskus grenzt eine gesunde Herz-Jesu-Spiritualität ganz strikt von einer selbstbezogenen intimistischen Frömmigkeit ab, in der es nur um religiöse Empfindungen zu gehen scheint."
Franziskus lade dazu ein, das Herz Jesu als Symbol für Versöhnung und Gewaltfreiheit als Lebensquelle auch in der heutigen Zeit zu entdecken. "Das menschlich liebende Herz Gottes wird zur Inspiration, Geduld und Kraft für alle, die sich am Wiederaufbau des Guten beteiligen möchten", sagte der Bischof.
Als Beispiel verwies Glettler auf die Bemühungen um eine zeitgemäße Form der Herz-Jesu-Verehrung in Tirol. Das Bundesland ist seit 1796, als der damalige Abt des Stiftes Stams im Widerstand gegen die napoleonischen Truppen das Land dem "Heiligsten Herzen Jesu" weihte, mit der Gelöbnis-Tradition stark verbunden. Heute werde der Tag des Herz-Jesu-Hochfestes in Tirol als ein "Tag der Herzlichkeit" begangen, erinnerte der Bischof - mit vielen Initiativen, die ein Miteinander und Dankbarkeit für soziales Engagement fördern sollen.
Menschliche und zugleich spirituelle Erneuerung
Für den Papst sei die menschliche und zugleich spirituelle Erneuerung der Kirche zentral, betonte der Innsbrucker Bischof weiter zur Grundlinie der Herz-Jesu-Enzyklika. "Franziskus sieht für die Kirche deutlich die Gefahr, dass wir mit ausufernden Strukturdebatten das Feuer des Glaubens vernachlässigen. Er versucht eine Verheutigung der Herz-Jesu-Spiritualität, weil sie uns vor allem pastoralen Tun zu einer direkten Freundschaft mit Christus einlädt, die aus Dialog, Zuneigung, Vertrauen und Anbetung besteht", erklärte Glettler unter Rückgriff auf Passagen aus dem neuen Lehrschreiben.
Die Erneuerung der Kirche könne gelingen, "wenn wir Platz machen für die bedingungslose Liebe, die aus dem Herzen Jesu strömt", so der Bischof. "Einander mit Offenheit zu begegnen, zuzuhören, nicht nach dem Äußeren zu urteilen, resonanzfähig zu werden für ein Du und für ein größeres Wir - all das ist mit einem erneuerten Herzen möglich, das sich in die Schule des göttlichen Herzens begeben hat."
Orientierung in nervöser Zeit
Das Herz sei "der innere Marktplatz" für alles, was Menschen beschäftige, belaste und nicht selten auch überfordere, führte Glettler weiter aus. "Nahezu euphorisch plädiert der Papst, dass wir alle Handlungen unter die 'politische Herrschaft' des Herzens stellen sollten, um ein Plus an Aufmerksamkeit, Empathie und Solidarität in einer Welt zu stärken, 'die zunehmend vom Narzissmus und Selbstbezogenheit beherrscht wird'".
"Um diesem Auftrag gerecht zu werden, braucht es in unserer nervösen Zeit eine Anleitung zu Stille, eine geistvolle Unterbrechung und eine Selbstverpflichtung zum Hören", erklärte der Bischof. Genau hier sehe der Papst den Schlüssel und eigentlichen Ausgangspunkt einer authentischen Herz-Jesu-Verehrung. "Es braucht darüber hinaus eine Anleitung zum persönlichen Gebet, zur inneren Kommunikation mit Gott 'von Herz zu Herz', weil ohne Innerlichkeit und ohne mystische Tiefe auf Dauer kein christlicher Glaube und keine verlässliche Nächstenliebe möglich sind", fügte Glettler hinzu.
Der Bischof von Innsbruck geht den notwendigen Spuren einer Herz-Spiritualität in der aktuellen Zeit auch in seinem Buch "Dein Herz ist gefragt" nach. Das 2022 im Herder-Verlag erschienene Werk liegt mittlerweile in zweiter Auflage vor.
Vierte Papst-Enzyklika
"Dilexit nos" ("Er hat uns geliebt") ist die vierte Enzyklika von Papst Franziskus. Das am Donnerstag veröffentlichte Lehrschreiben steht im Kontext des 350. Jubiläums der Visionen, die die französische Ordensfrau Margareta Maria Alacoque empfangen hat, und auf die viele heutige Formen der Herz-Jesu-Frömmigkeit zurückgehen.
Enzykliken sind päpstliche Lehrschreiben mit einem hohen Maß an Verbindlichkeit. Sie werden in der katholischen Kirche als Ausdruck der obersten Lehrgewalt des Papstes verstanden, sind aber keine unfehlbaren Lehrentscheidungen im dogmatischen Sinn.
Quelle: kathpress (25.10.2024)