Presseerklärungen der Herbstvollversammlung
Wortlaut der Presseerklärungen zur Herbstvollversammlung der österreichischen Bischöfe vom 3. bis 6. November in Großrußbach
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1. Ein "Wort der Bischöfe" zur aktuellen Situation in Kirche und Gesellschaft
Das heurige Jahr ist geprägt von Gedenktagen: In wenigen Tagen jährt sich am 9. November zum 70. Mal die Pogromnacht, als auch in Österreich die jüdischen Gotteshäuser in Flammen aufgingen und jüdische Menschen gedemütigt, beraubt, ja getötet wurden. Für die Christen ist dieser Tag ein Anlass zu Beschämung und Trauer, aber auch zum Gebet.
Am 12. November jährt sich zum 90. Mal der Tag, an dem die Erste Republik ausgerufen wurde. Nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs verbanden sich mit diesem Tag große Hoffnungen auf eine gerechtere Gesellschaft. Nach den vorgezogenen Nationalratswahlen vom 28. September stellt sich heute die Frage, wie es mit unserer Republik weitergehen soll, wie in einer Zeit zunehmender wirtschaftlicher Schwierigkeiten das Gemeinwohl zu wahren ist.
In diesen Tagen hat sich aber auch die Salzburger Delegiertenversammlung des "Dialogs für Österreich" zum zehnten Mal gejährt. Nach den innerkirchlichen Turbulenzen der neunziger Jahre hatten die Bischöfe zum "Dialog für Österreich" eingeladen, an dem sich sehr viele mit großem Engagement beteiligt haben. Die Delegiertenversammlung in Salzburg war ein Höhepunkt des Dialogs.
Nicht alle Erwartungen konnten erfüllt werden. Schwächen und Mängel sind aufgetreten, die wir Bischöfe mit vielen anderen sehr bedauern. Freilich muss auch betont werden, dass manche Erwartungen nicht erfüllbar waren, weil sonst der Lebenszusammenhang mit der Weltkirche verloren gegangen wäre.
Der ursprüngliche Schwung des "Dialogs für Österreich" ist nach 1998 bei vielen abgeklungen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass Impulse der Delegiertenversammlung auch umgesetzt wurden. Auch hier zeigt sich die Lebendigkeit der Kirche. Zu den Früchten des "Dialogs für Österreich" zählen beispielsweise die "Allianz für den Sonntag" oder das ökumenische "Sozialwort der Kirchen". Beide wurden weit über die Grenzen Österreichs hinaus gesellschaftlich wirksam. Zu nennen sind aber auch die seit zehn Jahren regelmäßig geführten Gespräche zwischen Bischöfen und Verantwortlichen der Katholischen Frauenbewegung und der feministischen Theologie. Große Beachtung in der Öffentlichkeit findet die Jugendsozialaktion "72 Stunden ohne Kompromiss", deren Wurzeln ebenfalls in der Salzburger Delegiertenversammlung liegen.
Von Salzburg führt auch eine direkte Linie zum "Mitteleuropäischen Katholikentag" 2004, der anlässlich des höchst bedeutsamen Beitritts ostmitteleuropäischer Länder zur Europäischen Union "wetterfeste Christen" aus acht Ländern in Mariazell zusammengeführt hat. "Christus - Hoffnung Europas" lautete das Leitwort dieses grenzüberschreitenden Katholikentags. Auf Christus schauen - dazu hat besonders der Besuch des Heiligen Vaters, Papst Benedikt XVI., im vergangenen Jahr ermutigt. Christus den Menschen einladend zu zeigen, das ist ein missionarischer Dauerauftrag. Dazu gab und gibt es viele neue Initiativen in Verkündigung und Diakonie wie die "Stadtmission" oder die "Lange Nacht der Kirchen", aber auch zahlreiche sozial-karitative Werke.
Der Blick auf Christus hilft, die Versuchungen zu Resignation und Orientierungslosigkeit zu überwinden. Jeder Generation ist es aufgegeben, erneut auf Christus zu schauen und mit ihm, als dem "ewigen Wort", in einen lebendigen Dialog zu treten, wie vor kurzem auch die Weltbischofssynode zum Thema "Wort Gottes" eindringlich in Erinnerung gerufen hat.
Der Dialog ist der "Weg der Kirche", hat Papst Paul VI. gesagt. Dieser Dialog ist nach "innen" wie nach "außen" gerichtet. In der Kirche gibt es viele Orte des regelmäßigen und verbindlichen Dialogs - von den Pfarrgemeinderäten über die Pastoral- und Priesterräte bis zu den Weltbischofssynoden. Es liegt an allen Beteiligten, diese Möglichkeiten zu nützen und den offenen Dialog miteinander zu führen.
Die Kirche ist aber auch offen für das Gespräch mit Andersgläubigen und Andersdenkenden. Diese Offenheit bedeutet nicht, die eigenen Fundamente zu verdecken. Wir müssen wissen, wer wir selber sind und wofür wir selber stehen, wenn wir als Christen in ein solches Gespräch eintreten.
Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der christlich-islamische Dialog, der in diesen Tagen im Vatikan einen neuen Höhepunkt erlebt. Die Präsenz von islamischen Mitbewohnern hat in manchen Gebieten Österreichs zu Ängsten vor einer Destabilisierung geführt. Viele dieser Menschen - beziehungsweise ihre Vorfahren - wurden ab den sechziger Jahren ausdrücklich als "Gastarbeiter" nach Österreich eingeladen. Sie haben zum Aufschwung Österreichs beigetragen. Sie sind Menschen mit spezifischen Traditionen, Überzeugungen und Gewohnheiten. Ein erhofftes Miteinander braucht Anstrengungen von beiden Seiten.
Zu bedenken bleibt, was das Zweite Vatikanische Konzil über den Islam gesagt hat: "Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat". Aber das Konzil verweist auch auf den entscheidenden Unterschied zwischen Christen und Muslimen: "Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen". Die entscheidende Frage in allen Dialogen lautet: Wer ist Christus für mich? Nur ein Prophet, ein bedeutender Mensch? Oder Gott und Mensch, "wahrer Gott vom wahren Gott", wie es das große Glaubensbekenntnis aller christlichen Kirchen aussagt?
Der Dialog mit den Zuwanderern - von denen weniger als die Hälfte aus einer islamisch geprägten Kultur kommt - ist aber nur ein Aspekt des gesellschaftlichen Dialogs, zu dem Österreich angesichts des 90-Jahr-Jubiläums der Republik aufgerufen ist.
Das Ergebnis der jüngsten Nationalratswahl und die Gründe, die zu dieser vorgezogenen Wahl geführt haben, haben bei vielen politisch wachen Menschen berechtigte Sorgen ausgelöst. Das Wahlergebnis ist auch Ausdruck einer Enttäuschung darüber, dass eine breite Regierungskoalition nicht zu gemeinsamen Lösungen gefunden hat. Die Bürger in einer demokratischen Gesellschaft erwarten zu Recht, dass die gewählten politischen Verantwortungsträger mit Blick auf das Gemeinwohl die brennenden Fragen der Zeit sehen und die richtigen Entscheidungen treffen. In weiten Teilen der Bevölkerung ist daher eine resignative Grundstimmung zu spüren, die die Fundamente der Demokratie ernsthaft gefährden kann. Freilich müssen sich alle wachen Bürgerinnen und Bürger fragen:"Was tue ich für die Republik?" und nicht nur "Was tut die Republik für mich?"
Vor diesem Hintergrund danken die Bischöfe allen, die sich in der Politik für den Dienst am Gemeinwesen engagieren. Es braucht mehr als bisher Frauen und Männer, die aus christlicher Überzeugung politische Verantwortung übernehmen und auf diese Weise eine unverzichtbare Mission erfüllen.
Aus Sicht der Kirche bleiben einige Themen wichtig, die schon vor der Wahl behandelt wurden und teilweise der Realisierung nahe waren. Dazu zählen die Einführung der bedarfsorientierten Existenzsicherung, die Lösung des Pflegeproblems, die verstärkte Befassung mit Fragen der Integration und die Vorbereitung einer Steuerreform, die keine neue Schuldenlast nach sich zieht. Angesichts der höchst bedrängenden demografischen Situation bedarf es aber auch neuer Initiativen für ein unbedingtes "Ja zum Leben" in allen Phasen. Dazu zählt die verstärkte materielle und immaterielle Unterstützung von Ehe und Familie als dauerhafte Gemeinschaft von Mann und Frau, die für Kinder offen ist. Große Aufgaben bleiben die Förderung ganzheitlicher Bildungskonzepte unter Einbeziehung der religiös-ethischen Dimension, der Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Armut, der Einsatz für die europäische Integration, für die internationale Solidarität und für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung. Unverzichtbar bleibt der Einsatz für die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte, besonders auch der Rechte auf Leben, auf Religionsfreiheit und auf Asyl.
Es ist beschämend, dass kirchliche Forderungen im Bereich des Lebensschutzes und der Entwicklungszusammenarbeit seit Beginn der siebziger Jahre von wechselnden Regierungen zwar oft versprochen, aber nie verwirklicht wurden. Gerade in diesen Bereichen leistet die Kirche viel Hilfreiches für Staat und Gesellschaft und sie bleibt ein verlässlicher Allianzpartner im Dienst für die Menschen und das Gemeinwohl.
In der Kirche und in unserer Gesellschaft gibt es große Ressourcen an Fantasie und Kraft für das Gute. In einer Situation besonderer Herausforderungen und auch Chancen sollen wir Christen im Vertrauen auf Gott zusammenstehen, um diese Kraft zu erhalten und zu beleben.
2. Christen im Irak
Die Situation der Christen im Irak erfüllt die österreichischen Bischöfe mit großer Sorge. Das Christentum ist seit 2.000 Jahren im Zweistromland präsent. Große Theologen, Kirchenväter, Glaubenszeugen sind aus dieser christlichen Gemeinschaft hervorgegangen; zahllose Märtyrer haben im Lauf der Geschichte an Euphrat und Tigris ihre Treue zu Christus mit ihrem Blut bezahlt. Das Martyrium dauert bis heute an, wie die dramatischen Ereignisse in Mossul in den letzten Wochen gezeigt haben. Angesichts der bedrängenden Nachrichten aus dem Irak ist es nicht möglich, zur Tagesordnung überzugehen; das Leid der Christen, aber auch der Angehörigen anderer religiösen Minderheiten und der muslimischen Mehrheitsbevölkerung darf niemanden kalt lassen.
Es ist unerträglich, dass in einem wichtigen Land 60 Jahre nach der Proklamation der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die beiden grundlegenden Menschenrechte - das Recht auf Leben und das Recht auf Religionsfreiheit - mit Füßen getreten werden. Die internationale Gemeinschaft muss dafür sorgen, dass die Christen wie alle anderen Bürger in Mossul und im ganzen Irak wieder sicher leben können.
Was kann getan werden? Im Auftrag der Österreichischen Bischofskonferenz hat der Wiener Weihbischof Franz Scharl mit einer kleinen Delegation vor kurzem eine Solidaritätsreise in den nördlichen Irak, insbesondere in die autonome kurdische Region, unternommen. Die Christen und ihre Bischöfe im Nordirak sind dankbar für jedes Zeichen der Solidarität.
Diese Solidarität muss sich in dreifacher Richtung entfalten: Im Gebet, aber auch durch moralische und materielle Unterstützung. Ein Aspekt der moralischen Unterstützung ist auch das Interesse für die große Geschichte dieses Teils der Christenheit; im Bewusstsein der westlichen Christenheit ist leider weitgehend ausgeblendet, dass christliche Theologie, Liturgie, Frömmigkeit, Kunst aus dem nahöstlichen Raum kommen. Die Christen des Westens verdanken ihren zu Unrecht vergessenen Glaubensgeschwistern im Orient ungeheuer viel. Mit dem Einsatz für die verfolgten Christen von heute und für die orientalischen Christen bei uns kann ein Teil dieser Dankesschuld abgetragen werden.
3. Der Sonntag
Der arbeitsfreie Sonntag ist ein Geschenk des Christentums an die europäische Kultur und Sozialordnung. Er ist der unbestrittene "jour fixe" Europas und unerlässlich für eine Kultur, in der die Menschen einander Zeit schenken können. Dieser Tag ist vor allem das allwöchentlich wiederholte Fest der Auferstehung, das den Menschen Kraft und Hoffnung gibt. Papst Benedikt XVI. hat bei seiner Pilgerfahrt nach Österreich im Vorjahr frühchristliche nordafrikanische Märtyrer zitiert: "Ohne Sonntag können wir nicht leben". Das gilt auch hier und heute. Daher unterstützen die Bischöfe alle Bestrebungen, den arbeitsfreien Sonntag in der aktuell diskutierten Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union zu verankern.
Der arbeitsfreie Sonntag ermöglicht nicht nur die Feier des Gottesdienstes, er ist auch der Gemeinschaftstag für das Familienleben. Auf diese Weise trägt er wesentlich zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei. Angesichts der stetigen Flexibilisierung der Arbeitszeit, die zu großen gesundheitlichen Belastungen für die Betroffenen führt, ist der arbeitsfreie Sonntag auch ein unverzichtbarer Beitrag zum Schutz der körperlichen und geistigen Gesundheit der Arbeitenden.
Schließlich ermöglicht der Sonntag ehrenamtliches Engagement und die Gemeinschaftsarbeit gemeinnütziger Organisationen und Vereine sowie die gemeinsame Pflege der Landeskultur.
Die Bischöfe appellieren daher an alle Abgeordneten des Europaparlaments, die Initiative von Abgeordneten für die Verankerung des Sonntags als wöchentlicher Ruhetag in der Richtlinie zu unterstützen. Die Zustimmung zu den entsprechenden Änderungsanträgen bei der bevorstehenden zweiten Lesung des Richtlinienentwurfes am 17. Dezember 2008 ist ein Beitrag zur Sicherung der Humanität in Europa.
Gleichzeitig bestärken die Bischöfe alle Bemühungen um den Sonntag, wie sie durch die Bildung der "Allianzen für den freien Sonntag" in Österreich, Deutschland und Polen zum Ausdruck kommen.