Presseerklärung zur Frühjahresvollversammlung 2024
1. Solidarität und Demokratie stärken – Wort der Bischöfe zur Europawahl 2024
Der Ursprung der Europäischen Union ist zu finden in der Sehnsucht und im Streben nach einem neuen Europa, einem Europa des Friedens, das zugleich in die Welt hinausstrahlen soll. Nach den Schrecken der beiden Weltkriege ist es der Anstrengung einiger zutiefst christlich geprägter Visionäre zu verdanken, dass Grundsteine für ein solches neues Europa gelegt wurden, um Aussöhnung zwischen einst verfeindeten Nationen und nachhaltigen Frieden zu schaffen. Man kann es nicht oft genug betonen: Die Erhaltung des Friedens ist der primäre Zweck der Europäischen Union, und dem ist sie bisher gerecht geworden. Der furchtbare Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zeigt deutlich, wie wichtig und zugleich gefährdet der Friede ist.
Es war zudem die prophetische Vision der Gründerväter zu erkennen, dass ein nachhaltiger Friede nur über Schritte der Einheit zu erreichen sei. Denn: „Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen“, hieß es in der Schuman-Erklärung vom 9. Mai 1950. So entwickelte sich nach einer primär ökonomischen Ausrichtung der Wunsch, die europäische Integration auch in politischer, sozialer und kultureller Sicht voranzutreiben. Dabei geht es darum, Einheit bei gleichzeitiger Bewahrung nationaler und regionaler Identitäten zu schaffen. Das Ziel ist „Einheit in Vielfalt“, um die wir uns stets bemühen müssen.
Ein Aspekt, der immer mehr in Vergessenheit zu geraten droht, ist der tiefe Glaube, der viele politisch Verantwortliche damals beseelt hat, und das wesentlich christliche und jüdische Fundament, auf dem die Europäische Union gegründet ist. Darauf fußen die Prinzipien und Grundwerte der Europäischen Union, vor allem aber das Menschenbild und die uneingeschränkte Achtung vor der Würde jedes einzelnen Menschen. Wo Europa diese Grundlagen verliert, ist letztlich immer der Mensch in Gefahr. Daher ist es eine besondere Aufgabe der Kirche und aller Christen, die christliche Wertebasis Europas wach zu halten und sich dafür einzusetzen.
Die Welt und mit ihr Europa steht vor vielfältigen Herausforderungen, die es solidarisch zu lösen gilt und bei denen auch der Beitrag von Christinnen und Christen gefragt sein wird. Einige von diesen sollen hier genannt werden:
Achtung vor dem menschlichen Leben: Obwohl ein Großteil bioethischer Themen in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten fällt, müssen wir Bischöfe mit Bedauern und Sorge feststellen, dass in wesentlichen Bereichen des Lebens diese Zuständigkeit zunehmend in Frage gestellt wird. Dies betrifft etwa die zahlreichen Aufrufe des Europäischen Parlaments und einiger Regierungen, Abtreibung als Recht in die Charta der Grundrechte aufzunehmen. Ein Grundrecht kann es aber nur auf Leben geben, nicht aber auf die Tötung der Schwächsten.
Migration: Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass es nach langen Verhandlungen zu einer Einigung der Mitgliedstaaten auf ein Migrations- und Asylpaket kommen soll. Dennoch sind darin wesentliche Punkte enthalten, denen die Kirche nicht beizupflichten vermag. Es wird in Zukunft besonders auf die Einhaltung des Grundrechts auf Asyl, das Recht auf Familienzusammenführung, die unabdingbare Menschenwürde aller Migranten und Asylwerber in jeder Phase des Asylverfahrens zu achten sein.
Ukraine und Außenerweiterung: Das Drama, das sich vor den Toren der Europäischen Union abspielt, verlangt weiterhin unbedingte Solidarität, auch wenn es uns viel kosten mag. Wenn die Ukraine voll in den europäischen Raum integriert wird, wird es für sie eine langfristige Perspektive geben. Wir sprechen uns dafür aus, die kommenden Aufnahmegespräche mit Ernst und echter Anstrengung zu führen. Ebenso wird die Notwendigkeit, den Ländern des Westbalkans wirkliche Perspektiven für die Aufnahme in die Union zu geben, immer offensichtlicher. Österreich kann hier aufgrund seiner historischen und kulturellen Nähe zu den Beitrittskandidaten eine besondere Anwaltschaft übernehmen. Für die Aufnahme in die EU gibt es klare Regeln und Kriterien. Diese sind von den Aufnahmewerbern zu erfüllen, die EU muss sie dabei aber nach Kräften unterstützen.
Klima- und Umweltkrise: Aus Verantwortung unserem Schöpfer, unseren nachkommenden Generationen, aber auch den bereits unter dem Klimawandel leidenden Menschen gegenüber muss alles getan werden, um die bedrohlichen Folgen des Klimawandels so gering wie möglich zu halten. Vor allem beim Arten-, Klima- und Umweltschutz und mit dem „Green Deal“ haben die EU-Institutionen bereits eine wertvolle sozial-ökologische Richtungsänderung getroffen. Dennoch nehmen die Entfremdung und Polarisierung in Teilen der Bevölkerung angesichts der ökologischen Krisen und des Umgangs damit zu. Innerhalb der EU müssen daher politische Wege gefunden werden, die die Menschen bei den notwendigen Veränderungen mitnehmen und ihnen eine soziale, kulturelle und berufliche Zukunft weiterhin ermöglichen.
Künstliche Intelligenz und Digitalisierung: Immer mehr greifen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in das private und öffentliche Leben ein, gleichzeitig eröffnen sie vielfältige Chancen. Die Europäische Union hat dazu bereits gemeinsame Maßnahmen gesetzt, auch um Fehlentwicklungen und Gefahren entgegenzuwirken. Es ist offensichtlich, dass die Herausforderungen in diesen Bereichen eher zu- denn abnehmen werden. Besondere Wachsamkeit ist geboten angesichts der digitalen Möglichkeiten, die Menschen manipulieren, ihre Freiheit einschränken und das demokratische Zusammenleben fundamental gefährden können.
Die exemplarisch genannten Herausforderungen machen deutlich, dass sie nur in einem größeren Verbund gemeistert werden können. Die Europäische Union kann und muss sich darin bewähren und sie steht dabei für Demokratie in Verbindung mit Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Ein globaler Blick macht deutlich, dass nur rund ein Viertel der Weltbevölkerung diese Qualität von Demokratie als Basis für das friedliche Zusammenleben hat.
Wir Bischöfe danken den vielen Menschen, die sich für dieses gemeinsame Europa in vielfältigster Weise engagieren. Wir appellieren an alle Bürgerinnen und Bürger der EU, bei der anstehenden Europawahl ihr Stimmrecht auszuüben, um damit Europa konstruktiv mitzugestalten und die Demokratie zu stärken.
2. Das Heilige Land braucht endlich Frieden
Das Leid der Menschen im Heiligen Land schreit zum Himmel. Den Auftakt bildete der brutale Angriff der islamistischen Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023, bei dem etwa 1.200 Zivilisten teilweise auf bestialische Art ermordet wurden. Die Hamas verschleppte mehr als 200 Geiseln in den Gaza-Streifen.
Wir rufen daher die Hamas eindringlich auf, die verbliebenen israelischen Geiseln unverzüglich freizulassen und die palästinensische Bevölkerung in Gaza nicht länger in Geiselhaft zu nehmen. Wir bekräftigen das legitime Recht Israels auf seine Existenz, das Recht auf Selbstverteidigung, Frieden und Sicherheit.
Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und der militärischen Reaktion Israels darauf nimmt das Sterben kein Ende. Tausende Zivilisten sind bereits ums Leben gekommen, wurden verletzt oder es droht ihnen der Tod, weil es am Nötigsten für das Überleben fehlt.
Papst Franziskus und der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Kardinal Pierbattista Pizzaballa, werden nicht müde, einen Waffenstillstand einzumahnen und zu fordern, den Menschen in Gaza endlich ausreichend humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Diesem Appell schließen wir Bischöfe uns aus tiefster Überzeugung an. Wir sind davon überzeugt: Ein Ende der Gewalt liegt im Interesse der Menschen in Gaza und den Palästinensergebieten, es ist aber auch im Interesse Israels und seiner Bewohner. Eine gerechte politische Ordnung im Heiligen Land, die Israelis und Palästinensern ein Leben in Würde und mit Zukunftsperspektiven ermöglicht, ist die einzige nachhaltige Sicherheitsgarantie gerade auch für Israel. Daher setzt sich nicht nur der Papst weiterhin für eine Zwei-Staaten-Lösung im Heiligen Land ein. Die dramatische Situation im Heiligen Land darf die Menschen nicht lähmen und in Hoffnungslosigkeit stürzen. Jeder noch so kleine Schritt, der das Leid mildert und die Hoffnung auf Frieden nährt, muss gesetzt werden.
Schon jetzt ist klar: Es wird eine heute noch gar nicht absehbare internationale Hilfe brauchen, um die Menschen in Gaza mit dem Notwendigsten zu versorgen und ihr Leben wieder aufzubauen. Auch dazu rufen wir die politisch Verantwortlichen in Österreich, in der EU und darüber hinaus auf. Wir bitten alle Christinnen und Christen, aber ebenso alle Angehörigen anderer Religionen, im Gebet um Frieden für das Heilige Land und seine Menschen nicht nachzulassen.
3. Die Ukraine braucht weiter Hilfe und Solidarität
Zwei Jahre nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist noch immer kein Ende von Gewalt und Leid absehbar. Ein Blick auf die Lebensrealität der Betroffenen zeigt, wie groß die Not ist: 17,6 Millionen Menschen, also knapp die Hälfte der Bevölkerung in der Ukraine, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. 6,3 Millionen Menschen sind aus ihrer Heimat vertrieben worden, davon haben rund 70.000 Personen Zuflucht in Österreich gefunden. Die Ursache für dieses Leid ist ein schweres Unrecht, das immer wieder klar benannt werden muss: Der Angriffskrieg Russlands gegen die freie und souveräne Ukraine ist und bleibt ein fundamentaler Bruch des Völkerrechts genauso wie die gezielten Schläge gegen Zivilisten und die zivile Infrastruktur im Land.
Das Ziel aller Bemühungen muss es sein, dass es möglichst bald zu einem Ende der Gewalt und zu einem gerechten Frieden kommt. Weil ein Ende des Krieges derzeit leider nicht in Sicht ist, sind Hilfe und Solidarität lebensnotwendig. So ist die österreichische Caritas seit 30 Jahren in der Ukraine im Einsatz und hat die Hilfe weiter ausgebaut. Mehr als vier Millionen Menschen in der Ukraine konnten gemeinsam mit dem kirchlichen Caritas-Netzwerk seit Kriegsausbruch mit Winterhilfe, Altenpflege und Hilfe für Kinder erreicht werden. Über 100.000 Kinder in 34 Projekten wurden unterstützt.
Das Spektrum der Hilfe reicht von humanitärer Notversorgung mit sauberem Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Medikamenten und Unterkünften bis hin zu langfristiger Unterstützung wie psychosoziale Betreuung, Bildungsmaßnahmen, Sanierung von Wohnraum und Wiederherstellung der Existenzgrundlagen.
Ein Gutteil der Mittel für diese Hilfe ist Menschen zu verdanken, die dafür spenden. Aber auch die öffentliche Hand ist gefordert, mehr Geld für die Hilfe in der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Mit der Caritas treten die Bischöfe daher dafür ein, dass der Auslandskatastrophenfonds bis 2030 auf insgesamt 200 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt wird, und dass davon 80 Prozent für langanhaltende Krisen und 20 Prozent für akute Situationen eingeplant werden. Auf diese Weise kann Österreich künftig den zunehmenden Konflikten und multiplen Krisen in der Welt noch besser begegnen.
Darüber hinaus brauchen Vertriebene aus der Ukraine hier in Österreich eine langfristige Perspektive und bessere Integrationsangebote. Die Absicherung von Vertriebenen durch die Grundversorgung war eine geeignete Sofortmaßnahme. Nach diesem ersten Schritt sollten sie jetzt verlängerte Aufenthaltstitel bekommen, um damit auch ihre Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern. Im Bedarfsfall sollte es eine Absicherung über die Sozialhilfe geben.
Viele Menschen und auch die Kirchen in Österreich haben kürzlich am zweiten Jahrestag des Kriegsausbruchs eindrucksvolle Zeichen der Nähe und der Unterstützung für die Ukraine gesetzt. Bleiben wir mit den Opfern des Krieges in solidarischer Hilfe verbunden. Das Gebet für sie hilft uns dabei und soll die Herzen jener berühren, die für den ersehnten Frieden verantwortlich sind.
4. Intensivierte Weiterarbeit an der Weltsynode
Die Weiterarbeit am weltweiten Synodalen Prozess ist in Österreich intensiver geworden und hat sich gut entwickelt. Seit Dezember des Vorjahres wird der bei der Weltsynode im Oktober beschlossene „Synthese-Bericht“ sowohl auf diözesaner als auch auf nationaler Ebene inhaltlich vertieft.
In den meisten Diözesen findet die inhaltliche Vertiefung von ein oder zwei Themen innerhalb bereits bestehender Gremien, wie etwa dem Diözesanrat, dem Priesterrat oder dem Pastoralrat statt. Parallel dazu befassen sich auf nationaler Ebene die Bischöfe entsprechend ihrer Zuständigkeiten in der Bischofskonferenz und gemeinsam mit den jeweiligen kirchlichen Fachstellen mit dem „Synthese-Bericht“.
Im Blick auf Synodalität geht es immer wieder um Fragen zur Teilhabe und Beteiligung von Laienchristen an kirchlichen Ämtern und Vollzügen, speziell auch um die Stellung der Frau in der Kirche und um Fragen der Geschlechtergerechtigkeit.
Leitend bei allen Themen ist die Frage: „Wie können wir eine synodale Kirche in der Mission sein?“ Die Ergebnisse zu den inhaltlichen Vertiefungen werden bis zum 25. April schriftlich auf zwei Seiten pro Thema festgehalten. Aus allen Eingaben erstellt das nationale Synodenteam eine 8-seitige Zusammenfassung. Dieser Österreich-Bericht ergeht bis 15. Mai an das Synodensekretariat in Rom.
Der von Papst Franziskus initiierte weltweite Synodale Prozess wirkt sich methodisch und inhaltlich auch auf die bereits bestehenden diözesanen Kirchenentwicklungsprozesse in Österreich aus. Eine positive Erfahrung nach zwei Jahren ist, dass die Methode des „synodalen Gesprächs im Heiligen Geist“, wie sie in der Bischofssynode im vergangenen Herbst in Rom eingeübt wurde, die Gesprächskultur zu verändern imstande ist. Es geht um eine Kultur des Zuhörens aufeinander und auf das, was Gott uns heute sagen will. Diese Haltung bewahrt vor Rechthaberei, populistischer Spaltung oder der Einebnung von berechtigten Differenzierungen. Eine synodale Gesprächskultur bietet eine alternative Art zu sein und zu handeln, die voller Hoffnung ist und eine Vielzahl von Perspektiven integrieren kann.
Inhaltlich folgen die diözesanen Kirchenentwicklungsprozesse zwar verschiedenen Ansätzen. Sie eint aber das Bemühen um eine synodale Kirche, die missionarisch in die gegenwärtige Gesellschaft hineinwirkt. Die auch von Papst Franziskus gewollte Synodalität führt uns zu folgenden Fragen: Wo finden wir Lebendigkeit? Wo wird Gott gesucht? Wo können wir mit den Menschen sein? Ein wichtiges Thema betrifft die Leitungsverantwortung in der Kirche: Wann sollen wir Bischöfe vorangehen, wann mitgehen, wann den Menschen nachgehen? Welche Qualitäten brauchen Leitende, um synodal möglichst viele an der Leitung zu beteiligen? Die zweite und abschließende Generalversammlung der Bischofssynode wird sich im Oktober im Vatikan auch damit befassen.