Flucht, Migration, Integration
Wortlaut einer Presseerklärung der Herbstvollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz vom 9. bis 12. September im Stift Michaelbeuern
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1. Flucht, Migration, Integration
Europa ist in den vergangenen Monaten für hunderttausende Menschen zum Hoffnungsraum geworden. Sie flüchten vor Krieg, Chaos und Elend, oder weil sie - wie viele Christen aus dem Orient - persönlich verfolgt werden. Österreich gehört zu jenen Ländern, die von diesen Fluchtbewegungen sehr stark betroffen sind. Aktuellen Schätzungen zufolge werden bis zu 95.000 Menschen allein in diesem Jahr in Österreich um Asyl ansuchen, zusätzlich sind über 400.000 in den letzten Wochen in unser Land gekommen, um es auf ihrem Weg nach Deutschland oder in andere Zielländer wieder zu verlassen. Die damit verbundenen Herausforderungen sind so groß, dass sie die politischen Verantwortlichen nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa zu überfordern drohen. Das löst bei vielen Menschen Ratlosigkeit, Verunsicherung und Angst aus.
Dem steht eine spontane Hilfsbereitschaft gegenüber, wie sie unser Land schon lange nicht mehr erlebt hat. Tausende Freiwillige empfangen seit Wochen Flüchtlinge an den Staatsgrenzen und an den Bahnhöfen, versorgen die Menschen und helfen bei der Unterbringung. Sie verharren nicht in Ohnmacht, Angst oder Bequemlichkeit, sondern haben das menschliche Gesicht Österreichs sichtbar gemacht. Die Bischöfe sagen für dieses Zeugnis gelebter Nächstenliebe ein tief empfundenes Danke! Das unermüdliche Engagement ist ein großer Schatz in unserem Land, und das verdient Respekt und Anerkennung. Es wurde verstärkt durch den Einsatz von Caritas und Rettungsorganisationen, Pfarren und staatlichen Stellen, aber auch Polizei, Bundesheer und ÖBB, die kompetent, rasch und unbürokratisch helfen. Die vergangenen Wochen haben eindrucksvoll bewiesen, wozu Zivilgesellschaft sowie kirchliche Einrichtungen fähig sind, und geben Zuversicht. Sie machen deutlich, dass bei allen Herausforderungen Menschlichkeit das entscheidende Kriterium ist und bleibt.
Dennoch gibt es viele offene Fragen: Wird es den Mächtigen der Welt gelingen, Frieden in Syrien und in den Ländern zu schaffen, aus denen Menschen jetzt flüchten? Wird die Hilfe in der Region endlich das nötige Ausmaß und Tempo erreichen und auch Österreich seinen Beitrag leisten? Wird die Europäische Union eine solidarische Antwort auf die große Zahl der Flüchtlinge finden und dabei jene Länder entlasten, die davon besonders betroffen sind? Wird das Menschenrecht auf Asyl weiterhin unverbrüchlich in Österreich, Europa und weltweit gelten - ohne das entsetzliche Sterben an so vielen Orten, auch vor den Toren Europas, worauf Papst Franziskus nicht müde wird hinzuweisen? Auf diese fundamentalen Fragen kann und muss es ein klares "Ja" geben, andernfalls würden wir uns in Österreich und innerhalb Europas jener Grundlagen berauben, die für ein menschliches Zusammenleben unabdingbar sind.
Daneben gibt es ganz konkrete Herausforderungen in Österreich, die es rasch zu lösen gilt: Es gibt noch immer zu wenig Grundversorgungsplätze für Asylwerberinnen und Asylwerber, sodass immer mehr Menschen auf der Flucht von Obdachlosigkeit betroffen sind. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben nicht immer jene Unterbringung und Betreuung, die vom Kindeswohl her in gleicher Weise für alle Kinder gefordert sind. Und es gibt noch immer zu wenig winterfeste Notunterkünfte für jene Flüchtlinge, die auf der Durchreise sind. Der Staat ist gefordert, faire, qualitätsvolle und rasche Asylverfahren durchzuführen sowie alle Formen der Schlepperei und des Menschenhandels entschieden zu bekämpfen, nicht zuletzt durch einen gesicherten faktischen Zugang zu Asylverfahren. Dabei ist zwischen Asyl und Migration zu unterscheiden. Gerade weil Menschen aus Chaos und Verderben flüchten und hier Sicherheit suchen, ist die Aufrechterhaltung der rechtsstaatlichen Ordnung in unserem Land für die Politik eine Verpflichtung, die Sensibilität in Wort und Tat erfordert.
Es ist darüber hinaus alles zu unternehmen, dass aus der Quartierkrise von heute nicht die Integrationskrise von morgen wird. Spracherwerb, Bildung und Zugang zu Arbeit sind wichtige Voraussetzungen für eine gelingende Eingliederung in die Gesellschaft. Sie müssen möglichst rasch einsetzen und erfordern entsprechende Mittel. Eine Grundvoraussetzung für Integration ist freilich, dass Asylsuchende wie auch Zuwanderer die unbedingte Geltung der Menschenrechte und die demokratische Verfassung in Österreich anerkennen müssen. Dazu zählen besonders Religionsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und die gleichberechtigte Stellung von Mann und Frau. Ziel der Integration muss die gemeinsame Liebe zu Österreich sein, die die Menschen in diesem Land verbindet.
Die Lösung der anstehenden Fragen und Herausforderungen wird sehr davon abhängen, ob die Verantwortungsträger in Politik und Gesellschaft Sorgen aufgreifen und gleichzeitig diffuse Ängste nehmen können. Die Bischöfe appellieren daher an alle: Wer Österreich liebt, spaltet es nicht. Vielmehr braucht es Vernunft, Mut, Verantwortungsbewusstsein, Ehrlichkeit, Wertschätzung, Zuversicht und vor allem die Bereitschaft zum Teilen. Die katholische Kirche und ihre Einrichtungen mit der Caritas an der Spitze werden daran so wie bisher in Tat und Wort mitwirken. Weil Flucht, Migration und Integration zu den großen Herausforderungen unserer Zeit zählen, hat die Bischofskonferenz dafür einen neuen Aufgabenbereich festgelegt und den Eisenstädter Bischof Ägidius Zsifkovics damit beauftragt.
Das kirchliche Engagement zeigt sich aktuell darin, dass rund 6.000 Asylwerber in Caritasquartieren im Rahmen der Grundversorgung untergebracht sind. Das sind deutlich über 10 Prozent aller Grundversorgungsplätze, wofür vielfach kirchliche Gebäude genützt werden. Weitere 15.000 Personen werden von der Caritas mobil betreut, sodass derzeit insgesamt 21.000 Menschen - somit jeder dritte Asylwerber in Österreich - von der kirchlichen Caritas betreut werden. Möglich ist dieses große Engagement durch die Unterstützung von Klöstern, Ordensgemeinschaften, Pfarren, Diözesen und zahlreichen engagierten Christinnen und Christen. Gleichzeitig dürfen nicht die Sorgen der Österreicher vergessen werden, etwa im Blick auf die Arbeitslosigkeit oder beim Thema Bildung. Die Nöte von Menschen gegeneinander auszuspielen, hilft jedoch niemandem.
Die Liebe zu Gott erweist sich in der Liebe zum Nächsten, vor allem zu jenen, die von Hunger, Flucht und großer Not betroffen sind. Diese Überzeugung gehört zum Kern der christlichen Botschaft, die gerade im Blick auf Weihnachten deutlich wird. In der ärmlichen Geburt von Jesus Christus identifiziert sich Gott mit den Hilfesuchenden, Flüchtlingen und Armen. Diese Frohbotschaft gilt es zu erkennen und zu leben.