"Bildung zum Menschsein"
Wortlaut einer Presseerklärung der Herbstvollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz, 7. bis 10. November 2011 in Salzburg.
» | Alle Presseerklärungen als pdf herunterladen |
Bildung ist nicht nur ein Menschenrecht, sondern auch für eine humane Gesellschaft von grundlegender Bedeutung. Von daher ist es sehr erfreulich, dass in Österreich eine breite Diskussion über Bildung eingesetzt hat, die durch ein Bildungsvolksbegehren und eine neue Bildungsplattform verstärkt wurden.
Die katholische Kirche ist neben den öffentlichen Schulerhaltern Bund und Ländern der größte private Träger von Bildungseinrichtungen in Österreich. Dieses umfassende kirchliche Engagement ist Ausdruck einer gelebten Vision von christlicher Bildung. Sie soll zu einem erfüllten Menschsein führen und die vielfältigen Potenziale und Begabungen jedes einzelnen auf dem Weg zu einem selbstverantwortlichen Leben im Miteinander und Füreinander fördern. Bildung ermächtigt zur Teilhabe in einer demokratischen Gesellschaft und eröffnet einen Ausweg aus Benachteiligung und Armut. So wichtig der Erwerb von Fertigkeiten und Kenntnissen ist, aus christlicher und gut belegter pädagogisch argumentierter Sicht ist Bildung aber mehr als Wissen. Sie ist nie abgeschlossen, so wie auch der Mensch nie fertig ist; sie erschöpft sich nicht in mess-, zähl- und verwertbaren Dimensionen, sondern ist offen für Werte und für den tiefsten Sinn, den höchsten Anspruch und das letzte Ziel menschlicher Existenz. Aus christlicher Sicht ist daher die ethische und religiöse Dimension von Bildung von fundamentaler Bedeutung, was auch in der österreichischen Bundesverfassung festgeschrieben ist.
Vor diesem Hintergrund muss kritisch angefragt werden, ob sich die Akteure der laufenden Debatte ausreichend Rechenschaft über die Grundsatzfragen von Bildung geben, die ohne eine deutliche anthropologische Grundlegung weder gestellt noch beantwortet werden können. Auffallend ist der zunehmend ökonomisch verzweckte Zugang zum Bildungsthema, der sich auch auf europäischer Ebene deutlich manifestiert. Bildung ist nicht nur mehr als Wissen und sie ist schon gar nicht nur eine "Investition in das Humankapital". Bildung ist an und für sich wertvoll und hat ein hohes Maß an Zweckfreiheit. Sie ist ureigenste und höchstpersönliche Leistung des Menschen auf dem Weg zu einem entfalteten Menschsein. Insofern darf Bildung nicht auf Ausbildung und dürfen ihre Ziele nicht auf Nützlichkeit für allgemeines Wirtschaftswachstum reduziert werden. Bildung zielt letztlich auf Freiheit und Mündigkeit. Von daher und aufgrund der Rechte der Eltern darf der Staat keine ideologischen Bildungsinhalte vorgeben.
Auch die derzeit feststellbare Fixierung der Bildungsdebatte auf schulische Strukturfragen ist wohl unzureichend. Zweifelsohne müssen Strukturen immer wieder überprüft und verbessert werden. Aber Strukturfragen sind bekanntermaßen immer sekundäre Fragen gegenüber den Visionen, die Menschen bewegen. Dies wird auch durch die Erfahrung der Kirche bestätigt, die als weltweit agierender Schulträger in den unterschiedlichsten sozio-kulturellen Kontexten und konkreten Schulstrukturen wirkt und dennoch in allen Ländern christlich inspirierte Bildung mit hoher Akzeptanz anbietet.
Besorgniserregend sind Befunde, wonach beim gegenwärtigen Bildungssystem familiäre Herkunft und sozialer Status eine so wichtige Rolle spielen, dass damit soziale Unterschiede und materielle Armut eher verfestigt werden. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass für alle der individuell beste Bildungsweg mit optimaler differenzierter Förderung offen bleiben und so auch die soziale Nachhaltigkeit des Bildungssystems angezielt werden muss. Die geplante Einführung der Neuen Mittelschule in der derzeitigen Form scheint dazu ein geeigneter Weg zu sein.
Denn aufgrund des hohen Stellenwerts der Elternrechte in der Katholischen Soziallehre ist es wichtig, dass Eltern und Kinder Wahlfreiheit hinsichtlich der konkreten Schulformen haben. Gleichzeitig muss auf größtmögliche Durchlässigkeit der Schulformen geachtet werden. Schulische Vielfalt gepaart mit dem Prinzip der Wahlfreiheit und der Durchlässigkeit entspricht am ehesten den unterschiedlichen Bedürfnissen von Kindern und Eltern und stellt zugleich auf den gesellschaftlichen Bedarf ab. Diesen Prinzipien entspricht auch die Forderung nach einer Wahlmöglichkeit zwischen einer Schule mit Nachmittagsbetreuung und einer Schule in verschränkter ganztägiger Form.
Dabei ist festzuhalten, dass die Kirche selbst eine "Expertin für Bildung" ist, wobei innerhalb der Kirche die diözesanen Schulamtsleiter die offiziell beauftragten Experten sind. In vielfältiger Weise beteiligen sich aber auch zahlreiche katholische Organisationen und Initiativen aus den Bereichen Familie, Bildung, Caritas und Soziales am Diskurs für ein Bildungssystem mit Zukunft. Dabei kommt es in einzelnen Fragen aufgrund unterschiedlicher Zugänge zur Thematik mitunter auch zu verschiedenen Positionierungen. Wer das Bildungssystem primär unter dem Blickwinkel der Armutsvermeidung betrachtet, kann zu anderen Ergebnissen kommen als beispielsweise katholische Eltern oder Lehrerverbände. Diese Meinungsvielfalt ist nachvollziehbar, zumal es sich um Sachfragen handelt, bei denen Katholiken legitimerweise zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können.
Wesentlicher Teil der Initiativen im Bereich der österreichischen Bildungslandschaft ist das Katholische Private Schulwesen. Die katholische Kirche ist weltweit der größte nicht-staatliche Träger von Schulen, die von rund 48 Millionen Kindern und Jugendlichen besucht werden. Seit der ausgehenden Antike prägt und trägt die Kirche das Bildungswesen in Europa. Und auch heute, nachdem der Staat zu Recht die volle Verantwortung für das Bildungswesen übernommen hat, sind kirchliche Bildungseinrichtungen von großer Bedeutung und ist die Kirche weiterhin verlässlicher Partner in der Innovation von Bildung. So besuchen mehr als 70.000 Schülerinnen und Schüler die 340 katholischen Schulen in ganz Österreich.
Das kirchliche Engagement in Sachen Bildung zeigt sich in Österreich besonders deutlich im Engagement für die Lehrerbildung. Letztlich ist diese entscheidend für die Unterrichtsqualität. Die Kirche erhält vier Kirchliche Pädagogische Hochschulen (KPH) und eine Katholische Pädagogische Hochschuleinrichtung in Kärnten. An diesen Institutionen werden Lehrerinnen und Lehrer für den Bereich der Pflichtschule ausgebildet. Fort-und Weiterbildung wird für alle Lehrkräfte aller Gegenstände und aller Schulformen angeboten. Die größte Pädagogische Hochschule Österreichs ist derzeit die KPH Wien/Krems, zudem ein außergewöhnliches ökumenisches Projekt. Damit ist eine große Tradition wieder aufgenommen, war doch die Katholische Kirche die erste, die überhaupt in Europa Lehrer ausgebildet hat.
Bildung im umfassenden Sinn war immer schon und ist auch heute für die katholische Kirche maßgebend. Von daher erklärt sich auch, weshalb die Kirche neben den Ländern auch der größte Träger sowohl von Kindergärten wie auch von Einrichtungen im Bereich der Erwachsenenbildung ist. Diesem breiten Ansatz entsprechen die vielen kirchlichen Orte informellen Lernens: Jugendgruppen, sozial-karitatives Engagement, Pfarrbüchereien und Bildungsveranstaltungen in den über 4400 katholischen Pfarren und Seelsorgestellen bilden ein dichtes Netz gelebter Bildung in ganz Österreich.