"Europawahlen 2014"
Wortlaut einer Presseerklärung der Frühjahrsvollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz, vom 24. bis 27. März im Stift Admont, Steiermark
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Vom 22.-25. Mai 2014 werden in den 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union rund 400 Millionen Männer und Frauen ihre Vertreter für ein neues Europäisches Parlament wählen. Von den 751 Mitgliedern des neuen Europäischen Parlaments werden 18 aus Österreich kommen. Sie übernehmen angesichts der großen Herausforderungen, vor denen Europa steht, für die kommenden fünf Jahre eine hohe Verantwortung.
Europa im Jahr 2014 ist in vielerlei Hinsicht ein "Kontinent in Bewegung" und unterliegt einer Dynamik, die viele Menschen verunsichert und ängstigt. Dadurch drohen jene alten Reflexe zu erwachen, die in der Vergangenheit zu jenen Ereignissen geführt haben, derer wir uns in diesem Jahr in besonderer Weise erinnern:
- Vor hundert Jahren, am 28. Juli 1914, begann der Erste Weltkrieg, die Urkatastrophe Europas, die den Kontinent und die Weltordnung tiefgreifend veränderte und zum Ausgangspunkt weiterer Kriege und Konflikte wurde.
- Vor 75 Jahren, am 1. September 1939, brach der Zweite Weltkrieg aus, der weite Teile Europas verwüstete, Millionen Menschen Tod und Unheil brachte und jüdisches Leben in weiten Teilen des Kontinents vernichtete. Daraus erwuchs die Einsicht, dass nur ein auf Menschenrechte gegründetes, politisch geeintes und solidarisches Europa den Friede zwischen seinen Nationen sichern und so eine Wiederholung dieser Katastrophen verhindern könne.
- Vor 25 Jahren beendete der Fall des "Eisernen Vorhangs" die Teilung Europas als Folge des Zweiten Weltkriegs und ermöglichte den Beginn einer Wiedervereinigung Europas, die auch zur Erweiterung der Europäischen Union führte.
Für viele, vor allem jüngere Menschen, scheint der Frieden in weiten Teilen Europas eine Selbstverständlichkeit zu sein. Die dramatischen Ereignisse der vergangenen Wochen zwischen der Ukraine und Russland und der Krieg in Syrien machen deutlich, dass der Friede in Europa keine Selbstverständlichkeit, sondern eine bleibende Aufgabe ist. Die Bedeutung der Europäischen Integration als Friedensprojekt ist daher ungebrochen aktuell.
Das neugewählte Europäische Parlament und eine durch es bestätigte Europäische Kommission stehen vor einer Reihe von großen Herausforderungen und Aufgaben: Besonderer Beachtung bedarf bei allen politischen Überlegungen der umfassende Schutz des menschlichen Lebens und der Familie, selbst dann, wenn es sich hierbei nicht um eine direkte Kompetenz der Europäischen Union handelt.
Die seit dem Jahr 2008 andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise und in deren Folge die Staatsschuldenkrise führt uns die Verletzbarkeit und die Grenzen unseres Wirtschaftssystems vor Augen. Darüber hinaus haben Staaten besorgniserregend hohe Schulden aufgehäuft, die schon jetzt die Zukunftschancen der jüngeren Generation schmälern. Eine neue Politik des Maßhaltens ist notwendig. Sie darf allerdings nicht dazu führen, dass sich die bestehende Kluft zwischen Arm und Reich in Europa weiter vertieft.
Besondere Aufmerksamkeit muss der Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Europa geschenkt werden. Junge Menschen sind in Gefahr, durch Arbeitslosigkeit ihre Zukunftsperspektive und ihr Vertrauen in die Gesellschaft und in die Politik zu verlieren. Papst Franziskus hat durch seinen Besuch in Lampedusa auf die Not der Menschen, die an den Grenzen Europas stranden, aufmerksam gemacht. Asyl und Migration sind bleibende Herausforderungen für eine wohlhabende und den Menschenrechten verpflichtete Europäische Union.
Die Verantwortung für das Leben dieser Menschen darf nicht ausschließlich auf den Schultern jener Länder im Süden und Osten Europas ruhen, die an der Außengrenze der Europäischen Union liegen. Europa wird noch mehr Solidarität und Entschlossenheit brauchen, um weitere menschliche Tragödien wie jene vor Lampedusa zu verhindern.
Die Menschen in Europa und weltweit sind nicht Herren, sondern Sachwalter der Schöpfung. Es braucht daher weitere Anstrengungen zur Erreichung der Klimaziele und im Aufbau einer weltweiten Verantwortung für den Klimawandel. Es gilt, Nachhaltigkeit als ein grundlegendes Prinzip der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik, aber auch der persönlichen Lebensweise zu fördern.
Religionsfreiheit ist ein Kernelement einer toleranten und offenen Gesellschaft. Diese Freiheit beinhaltet das Recht, seinen Glauben öffentlich zu bekennen und das Religionsbekenntnis zu wechseln. Wir begrüßen die Empfehlungen der EU zur weltweiten Förderung und zum Schutz der Glaubens- und Religionsfreiheit, und wir erwarten, dass das neue Europäische Parlament seine Anstrengungen in dieser wichtigen Angelegenheit verstärkt.
Richtig verstandene Politik ist eine wertvolle Form der Nächstenliebe. Ihr demokratisches Fundament ist das Wahlrecht der Bürgerinnen und Bürger. Die Bischöfe rufen alle Wahlberechtigten auf, sich an der Europawahl zu beteiligen und sich dafür gewissenhaft vorzubereiten. Die Europäische Union, die maßgeblich von christlich motivierten Politikern gegründet wurde, braucht die demokratische Mitwirkung der Bevölkerung und das Engagement von Christen.