"Was wir brauchen ist größere Sicht der Wirklichkeit der Welt"
Vatikanstadt, 17.10.12 (KAP) Der Eisenstädter Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics hat am 16. Oktober bei der Generalkongregation der Weltbischofssynode im Vatikan an den Theologen und Naturwissenschaftler Teilhard de Chardin erinnert. "Kathpress" dokumentiert die Intervention im Wortlaut.
Heiliger Vater! Liebe Brüder und Schwestern!
In der Sprache Goethes, die auch die Muttersprache unseres verehrten Heiligen Vaters ist, möchte ich zu Ihnen sprechen. Mit den besten Grüßen der Österreichischen Bischofskonferenz erklingt meine Stimme exakt aus jenem kulturellen Kontext heraus, den diese Synode den "christlichen Westen" nennt mit all seinen Phänomenen einer "Loslösung vom Glauben" .
Wer als Hirte in diesem gesellschaftlichen Kontext steht, in dem der materielle Mensch den geistlichen Menschen niederzudrücken sucht, der erlebt den Kampf um die christliche Freude und Hoffnung jeden Tag. Doch wo das Bedrohliche wächst, wächst auch das Rettende (Gaudium et spes). Die Pastoral-Konstitution des Konzils spricht zu uns vom Licht Christi, in dem "der Schlüssel, der Mittelpunkt und das Ziel der ganzen Menschheitsgeschichte gegeben ist".
Diese Konstitution trägt die Dynamik des Denkens eines der großen Glaubenden des zwanzigsten Jahrhunderts: Pater Pierre Teilhard de Chardin. Vor dieser Synode möchte ich sein Werk ausdrücklich in Erinnerung rufen. Ob wir es wollen oder nicht: Die von ihm vor mehr als 60 Jahren vorausgesagten globalen Phänomene haben uns heute eingeholt. Wir alle leben in einer Welt, in der nicht mehr nur das Dasein des Einzelmenschen, sondern das der ganzen Menschheit fragwürdig geworden ist.
Teilhard sah das Leben und den Kosmos in einer von Gott bewirkten kreativen Bewegung, die noch nicht an ihr Ziel gelangt ist. Ich bin überzeugt, dass diese Sicht der Kirche und der Welt in der Krise einen Weg zeigen kann - fern von Zweckoptimismus und verkrampften Glaubensanstrengungen! Was wir brauchen, ist eine Vertiefung unseres Bewusstseins und eine größere Sicht der Wirklichkeit unserer Welt. Eine Sicht, die weder den christlichen Glauben noch die Vernunft des Menschen beleidigt.
Diese Sicht verlangt von uns einen neuen, vertieften Blick auf Jesus Christus. Die Begegnung mit Christus ist "nicht die Begegnung mit einem historischen Helden, sondern die echte Begegnung mit Gott, der ein Mensch ist". Erst, wenn eine menschliche Kirche in der Nachfolge
Christi die Menschen wieder im Kontext ihrer unmittelbaren Lebenswirklichkeiten persönlich und emotional erreicht, wird die heutige Unfruchtbarkeit der Evangelisierung ebenso beendet sein wie die damit verbundenen ekklesiologischen und spirituellen Probleme.
Aus dieser Sicht heraus wird auch das Phänomen der Säkularisierung und ihre Bedeutung für den christlichen Glauben völlig neue Vorzeichen erhalten. Sobald nämlich die Kirche wieder beginnt, in ihrem Dienst, ihrem Tun und Sagen alle Themen des Menschen und alles Konkrete auf der Erde zu umarmen, wird der christliche Glaube das Zupackende seiner Lebenskraft und den Zauber seiner Anziehungskraft wieder voll entfalten können. Diese heutige Zeit birgt daher die reelle Chance, das unermessliche Potential suchender, ringender und hoffender Menschen im christlichen Glauben zu aktivieren. Lassen wir sie nicht ungenutzt!
Wenn diese Aktivierung gelingt, wird sie auf die in der modernen
Gesellschaft vorhandene Trennung von Glauben und Leben ebenso
heilsam wirken wie auf die Verständnisprobleme zwischen christlicher
Vernunft und technologischer Forschung.
Teilhards visionäre Zusammenschau christlichen Glaubens mit dem
heutigen wissenschaftlichen Weltbild ist noch lange nicht von uns
erreicht. Wir müssen lernen, den Dialog mit der Wissenschaft wieder
auf Augenhöhe zu führen. Das ist mühsam, aber unerlässlich!
Auch wenn wir in der Kirche und besonders in diesen Tagen der Synode viel sitzen und beraten: das Evangelium ist keine Sitzordnung,
sondern Wegweisung! Wie viele kirchliche Probleme resultieren
daraus, dass aus dem Evangelium strukturelle Dinge abgeleitet werden!
Brechen wir statt dessen auf mit den Worten des großen
Neu-Evangelisierers des 20. Jahrhunderts, des seligen Papstes
Johannes Paul II.: "Fürchtet euch nicht! Öffnet die Tore für
Christus!"
Dazu müssen wir nicht nur die Türen zu allen Bereichen der
Gesellschaft öffnen; wir müssen zuerst die Türe des eigenen Herzens
öffnen! Dann erst wird es möglich sein, frei von Angst den Nächsten,
die Fernen und jene am Rande in Liebe zu umarmen; dann erst wird es
möglich sein, alte Dünkel innerkirchlich und in der Ökumene zu
überwinden sowie die Würde und unverzichtbare Verantwortung der
Laien in der Kirche zu erkennen und auch praktisch umzusetzen; dann
erst wird es möglich sein, dass wir Hebammen einer liebenden
Barmherzigkeit werden. Dann erst werden sich in der Welt, der
Schöpfung Gottes, die noch immer in Geburtswehen liegt, ungeahnte
Möglichkeiten eröffnen.