"Jahr des Glaubens", Lebensethik, Europa und "Rio+20"
1. Vorbereitung auf das "Jahr des Glaubens"
Zahlreiche Veranstaltungen und Initiativen werden in Österreich zum "Jahr des Glaubens" stattfinden, das von Papst Benedikt XVI. ausgerufen wurde und weltweit am 11. Oktober 2012 beginnt. Es erinnert an die Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 50 Jahre, weshalb die Beschäftigung mit den Konzilsdokumenten und die Erneuerung des Glaubens im Zentrum stehen werden. "Stärke unseren Glauben" - diese Bitte der Apostel an Jesus Christus (Lk 17,5) ist bleibend aktuell und so soll das "Jahr des Glaubens" den Menschen die Tür öffnen zur Freundschaft mit Christus. Das "Jahr des Glaubens" startet in ganz Österreich am 11. Oktober zeichenhaft mit dem Öffnen der Türen und Fenster von Kirchen, begleitet vom Läuten der Kirchenglocken, die zur liturgischen Feier einladen. Ferner haben die Bischöfe festgelegt, dass es zum Abschluss einen feierlichen Gottesdienst und ein Glaubensfest mit allen Mitgliedern der Bischofskonferenz am 3. November 2013 in Salzburg geben wird.
Orientierungspunkt für die zahlreichen geplanten Aktivitäten ist das jüngst veröffentlichte Dokument der Bischofskonferenz mit dem Titel "Verkündigung und neue Evangelisierung in der Welt von heute". So sind beispielsweise in allen Diözesen zentrale Zulassungsfeiern zur Erwachsenentaufe vorgesehen, auch die Tauferneuerung soll in den Gemeinden bewusst vollzogen werden. Beides macht deutlich, dass der Glaube eine Entscheidung ist, die sich im Alltag des Christen immer aufs Neue bewähren muss.
Die Vermittlung von grundlegenden Inhalten des christlichen Glaubens wird im Rahmen der österreichweiten Initiativen genauso eine Rolle spielen wie das Zeugnis von Christen - sei es im Alltag, in der Öffentlichkeit oder mittels selbst gemachter Kurzvideos auf einer eigens dafür eingerichteten Web2.0-Internetplattform. Ein Überblick über die wichtigsten Aktivitäten und weitere Anregungen werden ab Oktober unter www.jahrdesglaubens.at zu finden sein.
2. Reproduktionsmedizin und Ethik des Lebens
Kinder sind ein Segen und es ist ein großes Glück für Eltern, wenn sich deren Wunsch nach eigenen Kindern erfüllt. Umso verständlicher und schwerer ist das Leid, wenn der erhoffte Kindersegen ausbleibt. Besorgniserregend sind daher die Anzeichen für eine generell gestiegene Unfruchtbarkeit. Immer mehr Paare haben inzwischen große Schwierigkeiten, auf natürlichem Weg Kinder zu bekommen. Ihnen sprechen die Bischöfe ihre tiefe Verbundenheit aus und appellieren zugleich an Wissenschaft und Politik, vor dieser Entwicklung nicht die Augen zu verschließen, sondern ernsthaft nach den Ursachen dafür zu forschen.
So verständlich und wertvoll der Wunsch nach eigenen Kindern ist, er darf jedoch nicht dazu führen, dass jedes Mittel verwendet wird, um dieses Ziel zu erreichen. Gerade wenn es um das Leben von Menschen geht, sind die höchsten rechtlichen und ethischen Maßstäbe gefordert, die sich aus der Einzigartigkeit der Person und der Würde des Menschen ergeben.
Von daher hat sich die Kirche eingehend mit der Frage der künstlichen Befruchtung auseinandergesetzt und die In-Vitro-Fertilisation als ethisch unzulässige Methode abgelehnt. Jedes Kind, egal wie es gezeugt wurde, ist ein Ebenbild Gottes und unendlich geliebt. Um der Würde des Menschen voll gerecht zu werden, legt die Kirche solch großen Wert darauf, schon bei seiner Zeugung Liebe und Achtung vor dem Leben zu wahren.
Unabhängig von einer moralischen Bewertung der In-Vitro-Fertilisation als solche müssen auch deren gesundheitliche und psychische Gefahren für die Betroffenen aufgezeigt werden: Die hohe Zahl "überzähliger Embryonen", die extreme Häufigkeit von Mehrlingsschwangerschaften und Frühgeburten, die "Reduktion von Mehrlingen" im Mutterleib durch gezielte Tötung eines der empfangenen Kinder, die Belastungen der hormonellen Behandlung für die Frau und immer wieder die Belastung der Paarbeziehung durch Enttäuschungen und Reglementierungen während des Verfahrens der künstlichen Befruchtung sind gravierende Probleme. Sie werden weithin verschwiegen und sind Quelle großen Leids.
Verschärft wird die Situation dadurch, dass laufend neue technische Möglichkeiten diskutiert und gefordert werden, deren Anwendung die Achtung vor dem Leben aushöhlt. Das trifft besonders die Präimplantationsdiagnostik, bei der der Embryo vor seinem Transfer in den Mutterleib untersucht wird. Diese Methode wird derzeit nie zur Therapie des Embryos, sondern immer nur zu seiner Selektion durchgeführt. Jeder Mensch aber will angenommen werden, wie er ist. Dasselbe schulden wir Ungeborenen und Eltern.
Hoffnungen, durch eine beschränkte Zulassung der Präimplantationsdiagnostik einen vertretbaren Kompromiss zu finden, sind Illusion. Internationale Erfahrungen zeigen, dass Beschränkungen nicht von Dauer sind. Die Möglichkeit der Selektion bei der künstlichen Befruchtung hat gravierende Folgen: Statt Eltern grundsätzlich den sehnlichen Wunsch nach einem Kind zu erfüllen, werden sie dazu gebracht, nur mehr jene Kinder anzunehmen, die bestimmte Eigenschaften haben. Durch die Verlagerung dieser eugenischen Maßnahmen auf den Einzelnen entledigt sich der Staat nur scheinbar seiner Verantwortung und bürdet sie den Eltern auf. Gleichzeitig steigt damit der individuelle, aber auch der gesellschaftliche Erwartungsdruck nach "perfekten" Kindern. Die Präimplantationsdiagnostik ist daher als Mittel zur Selektion absolut abzulehnen.
Immer öfter wird hinsichtlich der künstlichen Befruchtung die Möglichkeit eingefordert, Kinder durch fremde Ei- bzw Samenzellen zu zeugen. Technisch sind hier viele Varianten möglich. Die Verwendung von fremden Ei- bzw. Samenzellen führt in jedem Fall bewusst zu einer Aufspaltung der Elternschaft. Unterschieden werden die genetische, die biologische und die soziale/rechtliche Mutter, der genetische und der soziale/rechtliche Vater. Um homosexuellen Paaren gerecht zu werden, spricht man zudem nicht mehr von Vater und Mutter, sondern nur noch von Elternteil 1 und Elternteil 2.
Bei dieser gezielten Zeugung eines Menschen wird von vornherein und mit Absicht in Kauf genommen, dass dieser nicht bei einem Vater und einer Mutter vereint aufwachsen darf. Darin liegt auch der maßgebliche Unterschied zu jenen Situationen, in denen eine derartige Konstellation durch widrige Umstände im Nachhinein entsteht. Viele Menschen müssen hier alleine große Verantwortung tragen und schwierige Situationen meistern. Ihnen gilt größter Respekt und bestmögliche Unterstützung. Aber selbst sie sehen diese Lebensform zumeist nicht als Ideal an. Daher sind derartige Lebenssituationen zu vermeiden, wo es im Vorhinein möglich ist.
Ein Kind hat ein Recht auf Vater und Mutter, das so gut wie möglich gewahrt werden soll. Bei Vater und Mutter aufzuwachsen gibt den Kindern wesentliche Orientierung und ist maßgeblich für die eigene Identität. Dem entspricht die heute zu Recht geforderte Einbindung des Vaters in die Erziehung und Betreuung der Kinder. Das Vorbild der Eltern als Mann und Frau ist zudem wichtig für das Verständnis des Kindes über das Zusammenleben der Geschlechter.
Die Bischöfe fordern daher einen breiten öffentlichen Diskurs über die ernsten ethischen und rechtlichen Fragen, die durch die Reproduktionsmedizin aufgeworfen werden. Dabei muss es immer um die Würde des Menschen, ganz besonders aber um das Wohl des Kindes gehen.
3. Solidarisches Europa
Christen sollen sich am Bauplatz Europa nach den Maßstäben des Evangeliums beteiligen - dieses Wort der Bischöfe im Vorfeld zum EU-Beitritt Österreichs bleibt Ermutigung und Auftrag im Blick auf die aktuelle Situation im europäischen Umfeld. Die Europäische Union steht seit längerem in der wohl größten Bewährungsprobe seit Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion.
Die Auswirkungen dieser Krise sind vielfältig, umfangreich und medial dauerpräsent. So zieht die drohende Zahlungsunfähigkeit mancher Mitgliedsstaaten der EU tiefgreifende Sparprogramme und Einschnitte in die öffentlichen Haushalte nach sich. Sie zeigen sich in einem Rückbau der Sozialsysteme, der Gesundheitsvorsorge und der Bildungssysteme. Die verschlechterte Wirtschaftslage führt in einigen Ländern zu hoher Arbeitslosigkeit besonders unter Jugendlichen. So werden immer mehr Menschen von einer Verunsicherung und Perspektivenlosigkeit erfasst.
Gleichzeitig erleben die Menschen fast tagtäglich, dass angekündigte Katastrophen nicht eintreten. Das Friedens- und Wohlstandsprojekt Europa bleibt im weltweiten Vergleich zu Recht ein attraktives politisches Modell, und noch nie gab es im Raum der Europäischen Union so lange Frieden und einen so hohen allgemeinen Wohlstand.
Angesichts dieser zwiespältigen und ambivalenten Situation plädieren die Bischöfe für Solidarität in und mit Europa. Dabei braucht es Institutionen der Solidarität genauso wie die persönliche gelebte Solidarität der Menschen untereinander. Polemische und vereinfachende Worte und Bilder drohen dies zu untergraben, was in den letzten Monaten im Blick auf die "Schuldenkrise" und über manche davon betroffenen Länder feststellbar war. Ein sorgsamer Umgang mit der Sprache ist nötig, um nicht bereits erreichte Schritte der europäischen Integration nachhaltig zu beschädigen oder gar zu zerstören.
Ausgangspunkt für die europäische Integration war und bleibt Frieden im umfassenden Sinn. Dieses Ziel wurde von Anfang an von der katholischen Kirche und von ernsthaften Christen unterstützt. Die österreichischen Bischöfe begleiten Europa in kritischer Solidarität. Als deutliches Zeichen dafür wird die nächste Vollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz vom 5. bis 8 November in Brüssel stattfinden: nicht nur, um ihre Verbundenheit mit dem europäischen Integrationsprozess zu bekunden, sondern auch, um sich selbst über die konkreten Entwicklungen, Vorhaben und Schritte vor Ort zu überzeugen.
4. Verantwortung für Schöpfung und Menschheit
Wenn in diesen Tagen mit über 50.000 Delegierten aus der ganzen Welt die bisher größte UNO-Konferenz in Rio de Janeiro ("Rio+20") stattfindet, dann geht es um nichts weniger als um die gemeinsame Verantwortung der einen Welt für Schöpfung und Menschheit. Die Probleme sind seit dem "Erdgipfel" vor 20 Jahren nicht kleiner geworden: Der Klimawandel, die globale Erwärmung verschlimmert die Nahrungskrise, gefährdet den Lebensraum und stürzt Menschen oft unverschuldet in Armut und Lebensgefahr. Die Nachfrage nach Ressourcen steigt dramatisch - sei es nach Land, Wasser, Nahrung, Bodenschätzen oder Energie. Nicht selten sind gewaltsame Konflikte in der ganzen Welt die Folge davon.
Vor diesem Hintergrund bestärken die Bischöfe alle Verantwortungsträger in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in ihrem weltweiten Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. Das Engagement unzähliger Christen dafür ist Ausdruck des gelebten Evangeliums und gibt gleichzeitig Hoffnung auf eine Wende zum Besseren. Die Bewältigung der anstehenden Krisen und Bedrohungen kann aber nur gelingen, wenn Umkehr, Veränderung und Verzicht in neuer Weise entdeckt und gelebt werden. Die christliche Botschaft bezeugt und fordert diese Hinwendung zu Gott und zu den Menschen, aus der Heil und Segen für alle erwachsen.
Nötig dafür ist ein grundlegender Wandel hin zu einem einfachen und verantwortungsvollen Lebensstil in Respekt vor Gottes guter Schöpfung. Denn was bedeutet schon Wachstum, wenn es nicht auch die Ärmsten erreicht und ihr Leben verbessert? Was bringt wirtschaftlicher Erfolg, wenn er auf Kosten von Verwüstung und Zerstörung der natürlichen Ressourcen erreicht wird und die Lebenschancen nachkommender Generationen mindert? Es ist an der Zeit, umzudenken: Erfolg ist daran zu messen, wie eine Volkswirtschaft Armut reduziert, Arbeitsplätze schafft und ökologische Nachhaltigkeit und soziale Stabilität verbessert.
Zahlreiche kirchliche Hilfseinrichtungen und Initiativen haben an die Bundesregierung Vorschläge und Forderungen mit Blick auf den UN-Gipfel in Rio gerichtet. Sie sind Ausdruck eines konkret gelebten Glaubens und sollen von den Christen beachtet werden.
Konkret unterstützen die österreichischen Bischöfe die Bemühungen der Bundesregierung auf Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen zur Eindämmung von Spekulation. Die damit lukrierten Einnahmen sollten zur Armutsbekämpfung verwendet werden. Gleichzeitig appellieren die Bischöfe erneut an die politischen Verantwortungsträger in Österreich, die Kürzungen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit zurückzunehmen und zusätzliche Mittel für den Auslandskatastrophenfonds bereitzustellen. Erneut setzen sich die Bischöfe dafür ein, die Entwicklungszusammenarbeit gesetzlich abzusichern und einen verbindlichen Stufenplan zur Erhöhung der finanziellen Mittel festzulegen.