Schönborn: Kirchenzugehörigkeit immer mehr freie Entscheidung
Wien-Graz-Salzburg (KAP 11.1.2011) Als "Zeichen neuer Freiheit" vor dem Hintergrund der Entwicklung "vom Traditionschristenchristentum zum Entscheidungschristentum" hat Kardinal Christoph Schönborn die Ergebnisse der aktuellen kirchlichen Statistik und die Entwicklung der Kirchenaustrittszahlen bezeichnet. Zugleich betonte er gegenüber "Kathpress", dass jeder einzelne Austritt schmerzlich sei. Der innerkirchliche Missbrauchsskandal habe die hohe Zahl an Kirchenaustritten im Jahr 2010 sicherlich mitbedingt, die Ursachen für einen solchen Schritt würden letztlich aber meist viel tiefer liegen. Die Zugehörigkeit zur Kirche sei eine Sache der freien Entscheidung und nicht mehr der Tradition.
Zugleich hob der Kardinal wörtlich hervor: "Die Beziehung jedes Menschen zu Gott geht weiter, auch nach einem Kirchenaustritt. Aus der Liebe Gottes kann man nicht austreten."
Angesichts des österreichischen Kirchenbeitragssystems müsse man jedes Jahr beim Anblick des zugesendeten Erlagschein aufs Neue entscheiden, ob man in der Kirche bleibe. Wer in der Kirche bleibt, tue dies bewusst. Seitens der Kirche sollte deshalb auch stärker thematisiert werden, was die Menschen bewegt zu bleiben, so Schönborn.
Laut den am Dienstag von den österreichischen Diözesen für das vergangene Jahr veröffentlichten vorläufigen Katholikenzahlen sind 2010 87.393 Personen aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten. (2009 gab es laut amtlicher kirchlicher Statistik 53.269 Austritte.)
Der Wiener Erzbischof verwies im "Kathpress"-Gespräch auch auf eine bisher noch nicht veröffentlichte Studie des Pastoraltheologen Prof. Paul Zulehner, wonach bis zu 44 Prozent der Ausgetretenen ernsthaft daran gedacht haben, wieder in die Kirche einzutreten.
Es sei notwendig, das viele Gute in der Kirche hervorzuheben. Schönborn verwies auf die kirchlichen Statistik der Diözesen Österreichs für das Jahr 2009. Demnach wurden in diesem Jahr 49.892 Taufen gezählt. Die Zahl der Trauungen beläuft sich auf 12.188, jene der Firmungen auf 59.431, die Erstkommunion wurde 55.033 Mal gespendet, 53.016 Begräbnisse fanden statt.
15.215 Personen waren 2009 in der Erstkommunionvorbereitung tätig, 10.456 standen als Firmhelfer zur Verfügung. Schönborn dazu: Das sei ein enormes positives Potenzial an ehrenamtlichen Mitarbeitern, "das wir nicht kleinreden dürfen". Noch herrsche in der Kirche zwar der "Winter" vor, er verspüre jedoch bereits einen "neuen Frühling", so Schönborn.
Kapellari: Entscheidungen respektieren
Der Grazer Bischof Kapellari - er ist auch stellvertretender Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz - hat sich in einer Presseaussendung der Diözese Graz-Seckau betroffen über die hohen Austrittszahlen gezeigt, die er zu einem Teil in innerkirchlichen Missbrauchsskandal begründet sieht. "Es tut sehr weh, dass viele Katholiken sich in diesem Zusammenhang von der Kirche abgewendet und ihren Kirchenaustritt erklärt haben", so Kapellari wörtlich.
Der Bischof wies zugleich darauf hin, dass für nicht wenige Ausgetretene diese Entscheidung nur der letzte Schritt einer schon lange in Gang befindlichen Entfernung gewesen sei. Sie hätten den Eindruck, die Kirche werde heute nicht mehr gebraucht und habe wenig Relevanz für das eigene Leben. Kapellari: "Solche Entscheidungen haben wir zu respektieren. Wir möchten den aus der Kirche fort gehenden oder fort gegangenen Katholiken aber sagen: Christus hat bei eurer Taufe seine Hand auch auf euch gelegt und er zieht sie nie zurück. Wir geben die Hoffnung nicht auf, dass ihr einmal zur Kirche zurückkehren werdet."
Zu den Missbrauchsfällen in den Reihen der Kirche bekräftigte der Bischof einmal mehr einen "radikal ehrlichen Umgang". Wachsamkeit bleibe ein Dauerauftrag. "Ich hoffe inständig, dass die Kirche aus dieser Krise geläutert hervorgehen wird", so Kapellari wörtlich.
Salzburg plant Aktion "Treten Sie ein"
Der Leiter des Seelsorgeamtes der Erzdiözese Salzburg, Prälat Balthasar Sieberer, kündigte am Dienstag an, dass die Kirche verstärkt den Dialog mit den Ausgetretenen suchen werde. Für das Frühjahr sei die Aktion "Treten Sie ein" geplant, die in etlichen Pfarrgemeinden durchgeführt wird: Priester und Laien werden in den Pfarren auf Menschen zugehen, die zwischen 2003 und 2008 aus der Katholischen Kirche ausgetreten sind. "Wir wollen mit den Personen ins Gespräch kommen, die damals unsere Gemeinschaft verlassen haben", so Sieberer.
Schließlich habe sich in den Pfarren seither einiges getan, man wolle Offenheit zeigen und über die Angebote in den Orten informieren. "Ob es dann wirklich zu einem Wiedereintritt kommt, bleibt jedem überlassen", so Sieberer. Bis zum Sommer 2011 soll die Dialogaktion in den Pfarrgemeinden laufen.
Scheuer: Müssen Vertrauen wieder gewinnen
Mit großer Betroffenheit reagierte Bischof Manfred Scheuer auf den deutlichen Anstieg der Kirchenaustritte in der Diözese Innsbruck. In einer Zeit des großen gesellschaftlichen und kirchlichen Umbruchs stellt sich laut Scheuer die Frage, wie die Kirche das Vertrauen der Menschen wieder zurückgewinnen könne. "Jenseits von schnellen Antworten wird dies nur mit einer engagierten und ehrlichen Sorge um die Menschen unserer Zeit gelingen", zeigte sich der Innsbrucker Bischof in einer Presseaussendung der Diözese am Dienstag überzeugt.
Das Bekanntwerden von gewalttätigen Übergriffen und von sexuellem Missbrauch im kirchlichen Bereich habe auch die Kirche in Tirol tief erschüttert, erinnerte Scheuer, der gleichzeitig betonte, dass die Kirche unverzüglich und entschieden reagiert und den Opfern geholfen habe. "2010 ist sicher auch deutlich geworden, dass sich die Kirche hinterfragen lassen und öffentliche Kritik einstecken muss", so der Bischof: "Das kann auch ein positiver, reinigender Prozess sein. Ich hoffe sehr, dass wir auf dem eingeschlagenen Weg vorankommen, dass Wunden heilen und so wieder ein Klima des Vertrauens entstehen kann."
Gleichzeitig geschehe auch viel Positives in der Kirche Tirols, betonte Generalvikar Jakob Bürgler in der Presseaussendung. Diese Seite müsse ebenfalls gesehen werden: Kirche sei "ein Global Player der Menschlichkeit", die Caritas gehöre zu den größten und schnellsten Katastrophenhelfern der Welt, und die Kirche sei einer der größten Arbeitgeber im Land Tirol.
Auch verfüge die Kirche über so viele ehren- und hauptamtliche Personen wie keine andere zivilgesellschaftliche Einrichtung: "In Tirol gibt es an die 25.000 Menschen, die sich ehrenamtlich in der Kirche engagieren", hielt Bürgler fest. Durch diesen "wertvollen Schatz" an Freiwilligen sei es möglich, die viele Dienste der Kirche aufrecht zu erhalten. "Kirche prägt das Land nach wie vor nachhaltig und auch positiv", zeigte sich Generalvikar Bürgler trotz aller Schwierigkeiten zuversichtlich.
Eisenstadt: "Ein jeder, der geht, wird vermisst"
Im Burgenland reagierte Generalvikar Georg Lang ebenfalls mit Betroffenheit auf den Verlust an Kirchenmitgliedern in der Diözese. "Es ist wie ein Weggehen aus der Familie. Ein jeder, der geht, wird vermisst. Doch die Tür ist nie zugeschlagen, sondern bleibt immer offen", hielt Lang in einer schriftlichen Stellungnahme am Dienstag fest.
Gleichzeitig dankte der Eisenstädter Generalvikar allen, "die gebliebenen sind, und auch in schweren und schwersten Zeiten der Kirche die Treue halten". Denn "wer glaubt, der zittert nicht": Diese Worte von Papst Johannes XXIII. sollten "Mut machen und Resignation hintanhalten", so der Generalvikar.
Die Kirche habe sich mit der Art und Weise, wie sie auf die Missbrauchsfälle reagiert hat, um Glaubwürdigkeit bemüht. Dieser Weg müsse in aller Entschiedenheit und auf allen Ebenen weitergegangen werden, betonte Lang, der auch auf den zeitlichen Verlauf der Kirchenaustritte einging.
Demnach habe die Missbrauchskrise vor allem im ersten Halbjahr zu einem massiven Anstieg an Kirchenaustritten geführt. 53 Prozent aller Austritte in der Diözese Eisenstadt seien in den Monaten März bis Juni erfolgt. Ab der zweiten Jahreshälfte sei eine Stagnation feststellbar, erläuterte der Eisenstädter Generalvikar.
Linz: "Christentum für Einsteiger"
Mit Blick auf die aktuelle Kirchenstatistik meinte der Linzer Bischofsvikar Wilhelm Vieböck, es sei wichtig, tiefer darüber nachzudenken, weshalb Menschen von der Kirche weggehen, dazukommen oder bleiben. "Dies ist nicht einheitlich und homogen", betonte der Leiter des Pastoralamts. Gleichzeitig hielt er fest, dass über eine Million in Oberösterreich in der Kirchen bleiben, weil es ihre Heimat ist, "auch wenn sie nicht zu 100 Prozent mit allem in der Kirche übereinstimmen".
Der Linzer Pastoralamtsleiter erinnerte im Rahmen einer Pressekonferenz am Dienstag in Linz auch daran, dass die Kirche auf verschiedene Weise aktiv auf Ausgetretene zugehe: "Durch einen Brief des Bischofs, der zum Gespräch einlädt. Viele nehmen die Gespräche wahr, einige nehmen ihren Austritt wieder zurück," so Vieböck. Er erklärte, dass im letzten Jahr auf diesem Weg 100 Personen den Kirchenaustritt wieder rückgängig gemacht haben. Viele Ausgetretene kämen überdies auf Initiative der Pfarre vor Ort wieder in Kontakt mit der Kirche.
Für alle, die in die Kirche eintreten wollen, bietet die Diözese Linz Angebote unter dem Titel "Christentum für Einsteiger" ein spezielles Angebot, hob Vieböck hervor und verwies auf für die kommende Fastenzeit geplante Glaubenseinführungen für Erwachsene in Linz, Wels, Neuhofen und Braunau sowie auf das Internetangebot der Diözese (http://www.dioezese-linz.at/theoleb).
Feldkirch: "Dialogstelle für Austretende"
Seit September 2010 gibt es in der Diözese Feldkirch und bislang in dieser Form einmalig in der Kirche eine "Dialogstelle für Austretende": Das berichtete Monika Eberharter, Leiterin der Dialogstelle bei einem Pressegespräch am Dienstag in Feldkirch anlässlich der Veröffentlichung der Katholikenzahlen.
Zentrale Aufgabe der Dialogstelle sei es, "mit den Menschen, die gerade aus der Kirche ausgetreten sind, binnen drei Monaten telefonisch wertschätzend ins Gespräch zu kommen". Es werde "Raum gegeben für Unmut und die tieferen Beweggründe; als lernende Kirche sind die Erfahrungen daraus natürlich sehr wichtig", sagte Eberharter im Blick auf die bisherigen Rückmeldungen auf diese Initiative, die positiv gewesen seien.
Verantwortungsvolle Budgetplanungen
Auf die finanziellen Auswirkungen der gestiegenen Kirchenaustritte für die Budgetplanungen der Diözesen gingen die Finanzkammerdirektoren der Diözesen Linz und Feldkirch bei den beiden Presseterminen ein. Das Hauptaugenmerk der Finanzplanung liege weiterhin in der Sicherung der pfarrlichen Tätigkeiten, betonten beide.
Der Feldkircher Finanzkammerdirektor Andreas Weber führte dazu aus, dass 60 Prozent des Kirchenbeitragsaufkommens in die jeweilige Pfarre der Beitragszahler zurückfließe, womit die seelsorgliche und karitative Arbeit vor Ort gesichert werde. "Aufgrund der aktuellen Kirchenstatistik werden Pensionierungen in der Verwaltung nicht nachbesetzt, ebenso werden Renovierungsarbeiten am kulturellen Erbe nur dort durchgeführt, wo sie unbedingt notwendig sind. Keine Einsparungen wird es hingegen im Bereich der karitativen und sozial relevanten Aufgaben geben", betonte Weber.
Reinhold Prinz, Finanzkammerdirektor der Diözese Linz, verwies auf den diözesanen Zukunftsprozesses "Den Wandel gestalten", der sich auch mit den zu erwartenden finanziellen Einbußen nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung befasste. Es sei klar, dass es im Bereich der kirchlichen Verwaltung aber auch bei Bauvorhaben zu finanziellen Einsparungen kommen werde. "Der bereits beschlossene Personalplan 2015 wird konsequent umgesetzt. Gehaltsabschlüsse unter der Inflationsrate bringen einen Teil der Einsparungen", hielt der Linzer Finanzkammerdirektor fest.
Kärtner Bischof: "Kirche, wo stehst du?"
Für den Kärntner Bischof Alois Schwarz werfen die Kirchenaustritte auch die Frage auf, ob die Kirche lebendig und aufmerksam genug bei den Nöten und in den Lebenssituationen der Menschen sei. "Kirche, wo stehst du?", diese Frage gelte es im Zugehen auf die Menschen zu klären, betonte Bischof Schwarz bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Klagenfurt. Die große Zahl der Kirchenaustritte im Jahr 2010 sei für ihn, so der Kärntner Bischof, ein "deutliches Zeichen dafür, dass die Menschen die Geduld im Gespräch mit der Kirche verloren haben".
Die "Sinnagentur Kirche" sei in vielen Lebensfeldern wie zum Beispiel der Wirtschaft oder im Bereich der Schulen und Kindergärten ein "verlässlicher und gefragter Gesprächspartner", betonte Schwarz. Innerhalb der katholischen Kirche gebe es offene Fragen wie zum Beispiel die Rolle der Frau, der Umgang mit Sexualität sowie das Thema "Geschiedene und Wiederverheiratete". "Diese offenen Fragen bedürfen einer zeitgemäßen Klärung", sagte Bischof Schwarz, der für die Diözese Gurk "einen Weg des Vertrauens und eines neuen Wir-Bewusstseins" ankündigte.
Der Kärntner Finanzkammerdirektor Franz Lamprecht bezifferte bei der Pressekonferenz den jährlichen finanziellen Verlust der Diözese durch diese Austrittszahlen mit ca. 440.000 Euro. Als Folge daraus kündigte er ein Sparpaket an, dessen wesentliche Punkte die Sparmaßnahmen im Personalbereich (zehn Dienstposten), im Sachbereich (Ausgabenkürzungen) sowie in der Konzentration auf das "seelsorgliche Kerngeschäft" liegen würden.