Schönborn: Kirchen müssen Säkularisierung auch als Chance sehen
Wien (KAP 19.01.2010) Die zunehmenden Versuche in Europa, Religion aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen, müssen von den Kirchen als Chance gesehen werden, ihrem ökumenischen und missionarischen Auftrag verstärkt nachzukommen. Das hat Kardinal Christoph Schönborn am Montagabend beim traditionellen Ökumenischen Empfang im Erzbischöflichen Palais in Wien betont. Schönborn verwies auf Papst Benedikt XVI., der davor gewarnt habe, den Säkularismus nur negativ zu sehen. Die Aufgabe der Kirchen bestehe vielmehr darin, die Sehnsüchte und das Suchen der Menschen nach Sinn und Gott wahrzunehmen. Voraussetzung dazu sei ein "fundamentales Ja" zur säkularen Gesellschaft und das Vertrauen auf Gottes Wirken, "auch dort, wo wir das auf den ersten Blick nicht sehen", so der Kardinal wörtlich.
Er verwendete in Anlehnung an den biblischen Jerusalemer Tempel das Bild vom "Vorhof der Heiden". Den Heiden war es nicht erlaubt, weiter ins Innere des jüdischen Tempels zu gehen, aber wer im Vorhof war, "war doch schon ganz nah dran am Heiligtum". Aufgabe der Kirchen sei es, "diesen Vorhof der Heiden für die Menschen möglichst weit und offen zu halten", betonte der Wiener Erzbischof.
Als weitere Herausforderung für die Kirchen wies Schönborn auf die Verfolgung der Christen in vielen Ländern der Welt hin. Es sei erfreulich, dass dieses drängende Problem in der jüngeren Vergangenheit stärker thematisiert werde. Schönborn nannte in diesem Zusammenhang exemplarisch die Ausschreitungen gegen Christen in Indien und Ägypten.
Zur Situation der Ökumene räumte der Wiener Erzbischof ein, dass es immer wieder Spannungen gebe, zuletzt etwa durch die Aufhebung der Exkommunikation lefebvrianischer Bischöfe oder die neue Möglichkeit von Personalordinariaten für Gruppen übertrittswilliger Anglikaner. Mit Blick auf das Konzil habe Papst Benedikt XVI. aber deutlich gemacht, dass es ihm sicher nicht darum gehe, die Bemühungen der katholischen Kirche im Bereich der Ökumene in Frage zu stellen.
Kirchen in der Türkei
Über die Situation der Kirchen in der Türkei informierte beim Ökumenischen Empfang der Leiter des St. Georgs-Kollegs in Istanbul, P. Franz Kangler. Dass es für die Kirchen zahlreiche Einschränkungen und Schwierigkeiten gebe, sei unbestritten, trotzdem wolle er die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht aufgeben, sagte Kangler. So könne inzwischen etwa über die schwierige Situation der Kirchen im Land offen in den Medien diskutiert werden, was vor 30 Jahren noch unvorstellbar gewesen sei, so Kangler.
Zudem führe die Minderheitensituation der Kirchen im Land zu unerwarteten ökumenischen Impulsen. So berichtete Kangler, dass er vom Pastor der evangelischen Gemeinde in Istanbul gebeten worden sei, dessen zwei Buben zu taufen, damit dieser als Vater an der Feier teilnehmen konnte. Damit habe er als katholischer Geistlicher in einer evangelischen Kirche zwei Buben im katholischen Ritus für die evangelische Kirche getauft, erzählte der Leiter des St. Georgs-Kollegs.
"Übungsschule des Friedens"
Über die Bemühungen um den Dialog der Konfessionen und Religionen im katholischen Schulzentrum der Schulschwestern in der Friesgasse in Wien-Fünfhaus berichtete dessen Leiterin Sr. Beatrix Mayerhofer. Unter den 1.500 Kindern und Jugendlichen des Schulzentrums fänden sich Schüler mit 40 verschiedenen Muttersprachen und 20 verschiedenen Religionsbekenntnissen. Religionsunterricht gibt es in der katholischen Privatschule für katholische, evangelische, orthodoxe sowie für muslimische Kinder.
Der selbstverständliche Umgang und der Respekt für alle Religionen fördere das gegenseitige Verständnis und den Zusammenhalt unter den Schülern, betonte Sr. Mayerhofer: "Wir wollen eine Übungsschule des Friedens sein."
Das Schulzentrum feiert heuer sein 150-jähriges Bestehen. Den Auftakt der Feierlichkeiten bildet am Mittwoch, 20. Jänner, um 14 Uhr ein multireligiöses Friedensgebet im Schulzentrum, das neben einer AHS auch eine Handelsschule, eine kooperative Mittelschule und eine Volksschule umfasst.
Aktivitäten von Pro Oriente
"Pro Oriente"-Präsident Johann Marte und "Pro Oriente"-Generalsekretärin Marion Wittine berichteten über die Schwerpunkte der ökumenischen Stiftung im heurigen Jahr. So wolle man sich wieder besonders um die verfolgten Christen im Nahen und Mittleren Osten annehmen. Besonders schwierig sei die Situation der Christen im Irak. Aus diesem Grunde wolle Pro Oriente ausdrücklich ein Zeichen setzen und die nächste Sitzung der Kommission syrischer Kirchen auf Einladung des chaldäischen Erzbischofs Louis Sako im Mai in der nordirakischen Stadt Erbil durchführen, kündigte Marte an. Einen ausführlichen Tätigkeitsbericht wird das demnächst erscheinende Jahrbuch der ökumenischen Stiftung enthalten.
Im September 2010 wird "Pro Oriente" die nächste Vollversammlung der katholisch-orthodoxen Dialogkommission in Wien ausrichten. Dabei soll, wie Kardinal Schönborn berichtete, die in Zypern 2009 nicht zu Ende geführte Arbeit über die Ausformungen des Primats in der Kirche im ersten Jahrtausend fortgesetzt werden. Der Wiener Erzbischof ist Mitglied der Vollversammlung.
Fraueninitiative und Pfadfinderjubiläum
Vorgestellt wurden beim Ökumenischen Empfang auch das "Ökumenische Forum christlicher Frauen", eine Plattform, der Frauenorganisationen zahlreicher Kirchen angehören. Evelyn Martin und Veronika Prüller-Jagenteufel vom Vorstand des Forums berichteten von den verschieden Initiativen der Plattform: vom sozialpolitischen Bereich bis zur Teilnahme an der Langen Nacht der Kirchen.
Eine kurze Vorschau gab schließlich der Pressesprecher des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), Prof. Rudolf Prokschi, zum 100-Jahr-Jubiläum der Pfadfinder in Österreich. Aus diesem Anlass wird es beim großen Jubiläumsfest im August 2010 in Laxenburg auch ein "Dorf der Religionen" geben.
Der Ökumenische Empfang im Wiener Erzbischöflichen Palais ist seit vielen Jahren fixer Bestandteil der Veranstaltungen in der "Weltgebetswoche für die Einheit der Christen" (18. bis 25. Jänner). Wie jedes Jahr führte der Empfang auch diesmal die höchsten Repräsentanten aller in Österreich präsenten Kirchen zusammen, angeführt vom ÖRKÖ-Vorsitzenden Bischofsvikar Nicolae Dura, dem orthodoxen Metropolit von Austria, Michael Staikos, sowie dem evangelisch-lutherischen Bischof Michael Bünker.