"Kreuz im Klassenzimmer"
Wortlaut einer Presseerklärung der Herbstvollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz, 9. bis 12. November 2009, Benediktinerabtei Michaelbeuern
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Das Kreuz-Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat in ganz Europa großes Aufsehen und Kritik erregt, wenngleich es noch nicht rechtskräftig ist und sich auch nur auf die rechtliche Situation in Italien beschränkt. Klar ist, dass diese Entscheidung auf Österreich keine rechtlichen Auswirkungen hat, weil hier eine grundlegend andere völkerrechtliche und innerstaatliche Rechtslage besteht.
Dennoch gibt dieses Urteil Anlass zu berechtigter Sorge. Der Gerichtshof bevorzugte in seinem Urteil in doppelter Hinsicht zu Unrecht bestimmte Aspekte der Religionsfreiheit. Das ist einmal die individuelle gegenüber der kollektiven Seite der Religionsfreiheit sowie die negative gegenüber der positiven Dimension dieser Freiheit. In letzter Konsequenz führt diese einseitige Sicht des Gerichtshofes dazu, dass die individuelle Religionsfreiheit einzelner Personen das Recht auf kollektive, öffentliche Religionsübung aushöhlt, was bislang nur in religionsfeindlichen totalitären politischen Systemen vorgekommen ist. Denn Religionsfreiheit bedeutet im Kern das Menschenrecht, die religiöse Überzeugung einzeln oder gemeinsam, sowohl privat als auch öffentlich auszuüben - diese positive Sicht der Religionsfreiheit muss auch in Zukunft garantiert sein.
Festzuhalten ist, dass der religiös-weltanschaulich neutrale Staat nicht einem radikalen Laizismus verpflichtet ist, der in seiner strikten Ablehnung von Religion einen Absolutheitsanspruch stellt. Religiös-weltanschauliche Neutralität bedeutet daher in fast allen europäischen Staaten schon seit langem nicht mehr, dass Religion aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt und zur Privatsache erklärt wird. Da Religion wesentlich Werte und Sinn einbringt, trägt sie zu jenen Voraussetzungen bei, von denen der demokratisch verfasste Staat lebt, ohne sie selbst erzeugen oder garantieren zu können. Der moderne Staat ist daher, um tatsächlich neutral und unparteiisch zu sein, bestens beraten, Religion nicht gesellschaftlich zu marginalisieren, sondern ihr einen entsprechenden Platz auch im öffentlichen Raum zu sichern.
Wer für Österreich überdies die "Trennung von Staat und Kirche" einfordert, sollte genau sagen, auf was er zielt, nämlich eine radikale, feindselige Form dieser Trennung. Demgegenüber ist in Österreich in bewährter Weise das Modell einer auf allen institutionellen Ebenen gegebenen, aber grundsätzlich freundschaftlichen Trennung verwirklicht, die sich durch Kooperation zum Wohl der Menschen auf vielen Gebieten auszeichnet. Bildung, Krankenpflege und Caritas sind wohl die herausragendsten Beispiele dafür.
Dem entspricht auch die in Österreich geltende Regelung, dass in jenen Schulen, in denen die Mehrheit der Schüler und Schülerinnen einem christlichen Bekenntnis angehört, in allen Klassenräumen ein Kreuz anzubringen ist. Hier ist das demokratische Mehrheitsprinzip leitend, keinesfalls geht es um Intoleranz.
Das Kreuz als das christliche Grundsymbol ist ein wesentlicher Teil der europäischen Kultur. Es geht daher auch um Bewahrung kultureller Identität, weshalb dieses Urteil auch Menschen berührt, die den christlichen Glauben nicht praktizieren oder einer anderen Religion anhängen. Besonders religiöse Symbole haben es an sich, dass sie eine vielschichtige Bedeutung in sich tragen. Im Klassenzimmer wie im Gerichtssaal gibt es auch ungerechte Beurteilungen und Urteile - das Kreuz hält den Blick offen, dass solch menschliche Entscheidungen keine letzten und schon gar keine letztgültigen sind. Es entlastet und relativiert zugleich. Das Kreuz im Krankenzimmer, in dem sich oft unerbittlich die Sinnfrage stellt, steht als Garant einer letzten Hoffnung, denn beim Kreuz ist auch die Auferstehung. Für jeden Menschen aber wird durch dieses Kreuz deutlich, dass hier Menschen wirken, die sich unter Gott wissen und sich selbst nicht zum Maß der Dinge erheben. Auch für die Andersgläubigen kann sich so eine unausgesprochene gemeinsame Basis des Vertrauens ergeben, die für das Zusammenleben sehr wichtig ist. Wichtig ist auch die Klarstellung, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine Einrichtung der Europäischen Union ist.
Die Bischöfe danken den vielen, die sich deutlich zur guten österreichischen Tradition bekennen, in der Religion grundsätzlich wertgeschätzt wird und die christlichen Wurzeln unserer Identität lebendig gehalten werden. Diese breite gesellschaftliche Allianz soll all jenen in Europa eine selbstbewusste und starke Stimme geben, für die das Kreuz als religiöses und kulturelles Symbol wertvoll ist und die Religion nicht aus dem öffentlichen Raum verbannt wissen wollen.