Sozialhirtenbrief der katholischen Bischöfe Österreichs - Teil 3
Fortsetzung des Wortlauts des gemeinsamen Sozialhirtenbriefes vom 15. Mai 1990
IV. SINNFRAGEN, WERTE UND ZIELE
(104) Die Sorge um das tägliche Brot war Jesus so wichtig, daß er sie als Bitte in das Vater Unser hineinnahm. Die Kirche bejaht darum voll und ganz das menschliche Bemühen um das tägliche Brot. Es gilt aber auch das Wort Jesu: "Der Mensch lebt nicht nur vom Brot" (Mt 4,4). Er wußte, daß all das, was mit dem täglichen Brot symbolhaft ausgedrückt ist, zur großen Versuchung des einzelnen und einer ganzen Gesellschaft werden kann, daß der "zusammengeraffte äußere Reichtum"[56] zum Selbstzweck und der materielle Fortschritt zum einzigen Maßstab des Lebensglückes wird.
Gegen diese Versuchung hat sich Jesus mit aller Kraft zur Wehr gesetzt. Wo er merkte, daß seine Jünger dieser Versuchung zu unterliegen drohten, hat er sie hart zur Rede gestellt und zur Umkehr ermahnt. Er verkündete, daß sich das Heil des Menschen nicht im Diesseits erschöpft, daß hinter dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alltag ein "Plan Gottes mit dem Menschen" steht, daß der Mensch zum Heil berufen ist und dieses Wissen ihm Lebenssinn, Orientierung und Durchhaltekraft vermittelt. Dies macht den neuen Menschen aus: "Dem österlichen Geheimnis verbunden und dem Tod Christi gleichgestaltet, geht er, durch Hoffnung gestärkt, der Auferstehung entgegen."[57]
(105) Es hieße vielen Menschen in unserem Land Unrecht tun, würden wir nicht den Bestand an geistigen und sittlichen Werten anerkennen, aus dem sie leben. Dieser Bestand entstammt einer Tradition durch viele Generationen. Er wurde im Lauf der Jahrhunderte immer wieder bedroht, aber auch immer wieder verteidigt. Er lebt im Gewissen der einzelnen, in den Familien, in den Pfarrgemeinden und Ortsgemeinden, in den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen. Dieses Gefüge an Werten ist tief verwurzelt im christlichen Glauben. Er gibt Lebenssinn, sittliche Orientierung und Hoffnung. Wie das II. Vatikanische Konzil feststellt, gibt es heute immer mehr Menschen, die "nach der Stellung des Menschen im Universum, nach dem Sinn seines individuellen und kollektiven Schaffens, schließlich nach dem letzten Ziel der Dinge und Menschen" fragen.[58] Wir brauchen daher keinem Pessimismus zu verfallen.
(106) Dennoch sind wir in Sorge um den Bestand und um die gesellschaftliche Wirkkraft der geistigen Werte unseres Landes. Wir erfahren auch in Österreich die Tendenz zu einer Privatisierung und Subjektivierung der geistigen und sittlichen Normen. Diese Entwicklung hat zwei Seiten: Einerseits wachsen bei vielen Menschen das Gefühl für persönliche Verantwortung, für ganzheitliche Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen und der Wunsch nach Treue und Verläßlichkeit; andererseits orientiert sich das Urteil über Gut und Bös oft nicht mehr an der von der Kirche überlieferten sittlichen Ordnung. Das gilt für verschiedene Bereiche des Lebens, auch für die Gestaltung menschlicher Sexualität. Hier werden die von der Kirche für die Gewissensbildung verbindlich vorgelegten sittlichen Normen oft außer acht gelassen.[59]
Wenn geistige und sittliche Werte mit wirtschaftlichen Interessen in Konflikt geraten, werden sie oft dem materiellen Vorteil hintangestellt. Und das keineswegs bloß im privaten Leben der einzelnen, sondern auch in den Entscheidungen wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Institutionen.
(107) Wir wissen, daß es auch in den geistigen und sittlichen Werten eines Volkes eine Entfaltung gibt. Wir wissen ebenso, daß geistige und sittliche Werte nicht verordnet werden können. Aber wir wehren uns mit aller Entschiedenheit dagegen, daß die in einem Volk vorhandenen, für ein menschenwürdiges Dasein unabdingbaren und in vielfachen gesellschaftlichen Gebilden verwurzelten sittlichen Werte untergraben, ausgehöhlt und an den Rand gedrängt werden. Es ist ein folgenschwerer Irrtum, wenn man den gesellschaftlichen Pluralismus mit Wertneutralität verwechselt. Manche glauben, auf die Verwendung von sittlichen Begriffen wie Gut und Bös im öffentlichen Leben überhaupt verzichten zu können. Die sittlichen Werte eines Volkes müssen stets neu vertieft, konkretisiert, geschützt und verteidigt werden - auch durch das verantwortliche Handeln des Staates. Darin besteht eine wesentliche Aufgabe der Sorge um das Gemeinwohl.
(108) Die modernen Kommunikationsmittel trifft eine große Verantwortung. Wir bejahen die Pressefreiheit und das Recht auf Information. Wir appellieren aber gleichzeitig eindringlich an das Gewissen der Verantwortlichen: Die geistig-sittlichen Werte, einmal aufgelöst, sind nicht wiederzugewinnen. Sie brauchen dringend den Dienst der Wahrhaftigkeit und Wahrheit, der Verpflichtung und des Schutzes. Die öffentliche Meinung hat nicht nur ein Anrecht auf kritische Kontrolle, sondern auch auf gesellschaftliche Leitbilder, auf Respekt vor persönlichen Überzeugungen und auf Wahrheit.
(109) Die Zerstörung der geistigen Werte eines Volkes hat nicht nur Folgen für den Einzelmenschen, für seine Suche nach Lebenssinn und Lebensorientierung. Sie hat auch tiefgreifende wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen. Wir sprechen heute viel von Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Wir sind dabei überzeugt, daß es sich hier um Werte handelt, die nicht dem Belieben des einzelnen überlassen sind, sondern allgemeine und ständige Geltung haben und daher auch verteidigt werden müssen, auch mit persönlichen und gesellschaftlichen Opfern. Wir werden die dringend notwendigen gesellschaftspolitischen Ziele nur dann glaubwürdig und wirksam vertreten können, wenn sie unserer geistig-sittlichen und religiösen Wertkultur entstammen und daran gemessen werden können. Werte, die nicht mehr gelebt und begründet werden, zerfallen.
Aus dieser Sicht und aus dieser Verantwortung wollen wir zu einigen aktuellen Fragen Stellung nehmen.
1. Grundwert Leben
(110) Wenn wir in diesem Sozialhirtenbrief ein Wort zum Grundwert Leben sagen, dann können wir nicht all das wiederholen, was wir bereits in anderen Dokumenten ausführlich dargelegt haben. Wir dürfen aber diese Frage nicht übergehen, weil wir überzeugt sind, daß es sich hier um ein überaus schwerwiegendes soziales und ethisches Problem unseres Landes handelt. Mit Bedauern stellen wir fest, daß es uns nicht gelungen ist, die Menschen unseres Landes zu überzeugen, daß sie durch ihre Mehrheit die Voraussetzung für einen eindeutigen Schutz des ungeborenen Lebens geboten hätten.
Wenn der Mensch der Weg der Kirche ist, dann muß sie zu diesem Menschen in all den Stufen seines Lebens stehen: vom Beginn bis zum Tod. Diese Botschaft gründet im Wissen aus dem Glauben um den göttlichen Ursprung jedes menschlichen Lebens und um seine Berufung zur ewigen Teilnahme an der Herrlichkeit Gottes. Damit ist dieses Leben der Willkür des menschlichen Zugriffes bedingungslos entzogen.
(111) Die Kirche verteidigt daher das Lebensrecht der Ungeborenen. Wir verurteilen mit aller Entschiedenheit, daß in Österreich fortgesetzt eine große Zahl ungeborener Menschen durch Abtreibung getötet wird. Es wird heute viel von der Vermenschlichung von Wirtschaft und Gesellschaft gesprochen, von der Solidarität gegenüber jenen, deren Lebenschancen verkürzt sind. Warum gibt es nicht mehr Solidarität mit jenen, deren Lebenschancen ohne Schuld am meisten bedroht sind? Warum werden bei Schwangerschaften in Konfliktsituationen nicht mehr Anstrengungen unternommen, um günstigere Bedingungen für ein Annehmen des Kindes oder auch für die Freigabe zur Adoption zu schaffen? Warum beteiligen sich so viele Menschen gegen Gottes Gebot an der Tötung der Ungeborenen?
Wenn wir das Recht auf Leben zu den unantastbaren Grundwerten unserer zivilisierten Welt erklären und in die internationale Rechtsordnung eingebaut haben, dann muß das grundsätzlich für jedes Leben gelten, auch für das ungeborene. Dieses Lebensrecht hat der Gesetzgeber ausreichend zu schützen. Allein schon die Überalterung unserer Gesellschaft müßte allgemein Nachdenklichkeit hervorrufen und den Willen bestärken, das Kind anzunehmen und ihm Wohlwollen, Schutz und Erziehung zu schenken. Dazu wird es künftig auch erforderlich sein, daß die Erwachsenen mehr bereit sind, ihren Lebensraum mit den Kindern zu teilen. Es gilt, die Kinderfeindlichkeit vieler öffentlicher Lebensbereiche abzubauen.
(112) Die Ehrlichkeit des .Bekenntnisses zum Grundwert Leben zeigt sich am deutlichsten in den Grenz- und Krisensituationen des Lebens. Diese bedrängen nicht nur den Beginn, sondern auch das Ende des Lebens. Wir stehen vor einer völlig neuen Situation der Lebensalter. Die Gruppe der alten Menschen erhält einen wachsenden Anteil an der Gesamtbevölkerung. Das bedeutet einen gesellschaftlichen Zuwachs und Gewinn, bringt aber auch Probleme und Aufgaben. Obwohl die ernsten Bemühungen nicht unterschätzt werden sollen, reicht die Sorge um die alten Menschen oft nicht aus. Man ist zu leicht geneigt, sie aus der aktiven Gesellschaft auszuklammern und in ein Ghetto abzudrängen.
(113) Für die letzte Lebensphase halten manche schon das Angebot des "schönen Todes" (Euthanasie) bereit. Wie am Beginn, so soll auch am Ende des Menschen über sein Leben verfügt werden. Die Kirche verurteilt solche Versuche ausnahmslos. Sie muß aber gleichzeitig mit dafür Sorge tragen, daß Menschen auf ein Sterben in Würde vorbereitet werden und den Tod aus der Kraft des Glaubens annehmen können. Viele wünschen zu Recht, im Kreise ihrer Angehörigen, menschenwürdig und medizinisch ausreichend versorgt, sterben zu können. Wir begrüßen, daß auch in Österreich Hospize entstehen, in denen dies möglich ist. Es gilt, dafür Wohnungen zur Verfügung zu stellen und auch die erforderlichen sozialpolitischen Voraussetzungen zu schaffen. So wie Eltern ihre Kinder zur Welt bringen, sollen Kinder ihrerseits ihre Eltern aus der Welt begleiten können.
(114) Wir sind davon überzeugt, daß der Entwicklungsstand einer Gesellschaft nicht primär durch den materiellen Wohlstand und durch die Dichte ihrer sozialen Organisationen, sondern durch die geistigen Werte bestimmt wird, aus denen sie lebt und auf die sie sich verpflichtet weiß. Dies zeigt sich vor allem daran, wie eine Gesellschaft unter den verschiedenen Bedingungen mit dem Leben umgeht.
Die Achtung und der Schutz des Lebens verlangen einen hohen Grad von Bewußtseinsveränderung und Gewissensbildung. Die Bibel überliefert uns ein eindrucksvolles Wort, mit dem Mose in einer entscheidenden Stunde das Volk Israel zur Bundestreue dem Gesetz Gottes gegenüber mahnt: "Leben und Tod lege ich dir vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen" (Dtn 30,19).
2. Sonntagskultur
(115) Wir Bischöfe erfahren die hohe Einschätzung des Sonntags nicht nur bei den Visitationen unserer Pfarrgemeinden. Wir wissen, daß der "Tag des Herrn" in weiten Kreisen eine tiefe religiöse Bedeutung behalten hat. Er erinnert an das Wort der Bibel: "Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig; denn an ihm ruhte Gott' nachdem er das ganze Werk der Schöpfung vollendet hatte" (Gen 2,3). Noch mehr erinnert der Sonntag an den Tod und die Auferstehung des Herrn, an jenes österliche Geheimnis, das sich in jedem Christen immer neu vollzieht. Darum treffen sich Gläubige als christliche Gemeinden zum Gebet, zum Hören des Wortes und zum Brechen des Brotes, wie es ihnen der Herr aufgetragen hat. Sie tragen die Freuden, aber auch das Kreuz des Werktages zum Herrn und empfangen aus der christlichen Feier des Sonntags neue Kraft für den Alltag. Aus der tiefen Begegnung mit Gott folgt eine neue Bereitschaft zur Begegnung untereinander: in der eigenen Familie, in der Nachbarschaft, im Freundeskreis und auch mit Menschen, denen man sonst aus dem Weg ging.
(116) Wenn wir hier von der Welt der Werte sprechen und nach Einrichtungen suchen, in denen diese Werte in besonderer Weise zum Ausdruck kommen, dann treffen wir immer wieder auf den Sonntag. Für den glaubenden Menschen gründet dieser Wert in seinem religiösen Inhalt und in der daraus folgenden Sonntagspflicht zur Mitfeier der Eucharistie. Dieser Tag hat aber auch eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Der Sonntag ist Tag der gemeinsamen Entspannung und Erholung. Er schenkt den oft zerrissenen Familien die unersetzbare Zeit des Zusammenseins. Er bietet den im Arbeitsprozeß vereinsamten Menschen die Möglichkeit zwischenmenschlicher Erfahrung, und er schafft Raum zu geistigem Tun und schöpferischer Pause.
(117) Der Sonntag ist einem tiefgreifenden Wandel ausgesetzt. Zwei Bedrohungen machen uns besorgt und rufen nach entschiedenen Maßnahmen. Es mehren sich die Stimmen, die eine Ausweitung der Nutzungszeiten der hochtechnisierten Produktionsanlagen verlangen, um dadurch einen größeren Spielraum für flexible Arbeitszeiten zu schaffen und in der wachsenden internationalen Konkurrenz besser bestehen zu können. Aber auch im Dienstleistungssektor und Handel gibt es eine wachsende Tendenz zur Lockerung des Arbeitsverbotes für Sonn- und Feiertage. Man denke etwa an die verkaufsoffenen Sonn- und Feiertage, an Märkte und Messen.
Die Kirche nimmt die Anliegen unserer Wirtschaft durchaus ernst und weiß um die Bedeutung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die damit zusammenhängende Sicherung der Arbeitsplätze. Gewiß hat es immer Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit gegeben. Es wird diese auch in Zukunft geben müssen, wenn ein kontinuierlicher Produktionsprozeß aus technisch zwingenden Gründen notwendig ist oder dringend notwendige gesellschaftliche Bedürfnisse die Sonn- und Feiertagsarbeit verlangen. Diese Ausnahmen müssen aber aus strengen, sittlich gerechtfertigten Kriterien der Notwendigkeit begründet werden. Wirtschaftliche Vorteile allein können keine Ausnahme vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit rechtfertigen. Nicht eine Flexibilisierung der Sonn- und Feiertage, sondern eine Reduzierung der Ausnahmen für Sonn- und Feiertagsarbeit sollte durch den technischen Fortschritt erreicht werden.
(118) Eine zweite Bedrohung des Sonntags ergibt sich aus den Mechanismen der Freizeitgesellschaft. Freizeit an sich ist Ausdruck der Befreiung des Menschen von den Zwängen der Zeit und enthält neue Chancen zwischenmenschlicher und kultureller Entfaltung. Dieser Zuwachs an möglicher Freiheit und Entfaltung enthält zugleich die Gefahr neuer Zwänge und Abhängigkeiten. Ausdrücke wie "Freizeitindustrie" und "Vergnügungsindustrie" deuten an, daß der Mensch in Gefahr gerät, in der gewonnenen Freizeit neuerdings Mechanismen und Manipulationen unterworfen zu werden, die ihm seine Freiheit nehmen, ihn ausbeuten. Es ist einsichtig, daß in einem solchen "Freizeitbetrieb" auch der Sonntag in eine Krise gerät. Er wird aus einem Feiertag zu einem der freien Tage, die insgesamt der Hektik des Freizeitgeschäftes ausgeliefert sind. Er verliert seinen religiösen Grundbezug, seine gemeinschaftstiftende Kraft und wird zum Gegenstand individuellen Vergnügens. Der Sonntag wird zum Hauptgeschäftstag der Freizeitindustrie und zum Spekulationsobjekt schnellen Profites. Dabei spielt es scheinbar keine Rolle, daß durch das Eindringen der Vergnügungsindustrie in den Sonntag immer mehr Menschen gezwungen werden, Erwerbsarbeit zu leisten.
(119) Immer mehr Menschen suchen heute nach einer neuen Sonntagskultur. Die gesellschaftliche Bedeutung liegt in der gemeinsamen Unterbrechung der Arbeit, die im Bewußtsein gründet, daß der Mensch nicht für die Arbeit da ist und Anbetung, Freude, Spiel, Feste und Gemeinschaft wesentlich sind. Zweifellos bedarf es dazu auch der schützenden Hilfe des Staates. Sie reicht aber bei weitem nicht aus. Vor allem dort nicht, wo es um das persönliche Verhalten der Menschen und um die Verantwortung der gesellschaftlichen Kräfte geht. Eine neue Sonntagskultur braucht einen breiten Konsens in der Bevölkerung. Ein solcher kann nur durch die Mitverantwortung vieler gesellschaftlicher Kräfte aufgebaut werden: von den Familien, Pfarren und Ortsgemeinden, von den Verbänden und freien Vereinigungen bis hin zu den Sozialpartnern. Die Bewahrung des Sonntags wird letztlich davon abhängen, ob es gelingt, ihn mit neuer Sinn- und Werterfahrung und religiösem Inhalt zu erfüllen. Hier weiß sich die Kirche unmittelbar verpflichtet.
3. Aus Werten leben - die Zukunft gestalten
(120) Die katholische Soziallehre hat sich immer gegen zwei Illusionen zur Wehr gesetzt. Die erste Illusion besagt, es komme in der Welt heute einzig darauf an, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen zu verändern. Daraus erwachse wie von selber der gute Mensch und das größte Glück der größten Zahl. Wenn die Kirche sagt, daß der Mensch als Person "Ursprung, Träger und Ziel" aller wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen ist, dann ist sie davon überzeugt, daß die gesellschaftlichen Einrichtungen sowohl in ihrem Entstehen, als auch in ihrem Funktionieren wesentlich von der sittlichen Einstellung der Menschen abhängen. Die sittliche Verantwortung des Menschen läßt sich durch technischen oder organisatorischen Fortschritt weder produzieren noch ersetzen.
Wir wissen, daß in unserem Land noch ein wertvolles sittliches Erbe vorhanden ist und gelebt wird: von Einzelmenschen, von Familien, am Arbeitsplatz, in der Freizeit. Wir kennen aber auch das andere: Menschen können einem Laster verfallen, fliehen aus ihrem unerträglichen Alltag in künstliche Bewußtseinszustände, in die Droge, den Alkohol, aber auch in Krankheit und Selbstmord; Familien zerbrechen und Kinder werden zu Scheidungswaisen; man tut Mitmenschen Gewalt an; Menschen verlieren die Kontrolle im Konsum; die Korruption ist zum öffentlichen Ärgernis geworden; man mißbraucht staatliche Einrichtungen und lebt auf Kosten anderer.
Weil die Kirche davon überzeugt ist, daß der Mensch in entscheidender Weise der verantwortliche Träger und Gestalter von Wirtschaft und Gesellschaft ist, muß ihr die sittliche Kultur zutiefst am Herzen liegen. Als Kirche müssen wir dahin wirken, daß der Sinn für Nächstenliebe, Verläßlichkeit, Treue, Pflichtbewußtsein und Toleranz lebendig bleibt. Jeder Zugewinn an persönlicher Freiheit bedeutet immer auch einen Zuwachs an mitmenschlicher Verantwortung.
(121) Die katholische Soziallehre hat aber auch eine zweite Illusion zurückgewiesen: Es genüge die Gesinnungsreform. Die Veränderung der gesellschaftlichen Einrichtungen und Strukturen sei nicht notwendig, da sie vom reinen Sachverstand bestimmt seien. Die Kirche ist dagegen überzeugt, "daß die Menschen aus den gesellschaftlichen Verhältnissen heraus, in denen sie leben und in die sie von Kindheit an eingefangen sind, oft vom Tun des Guten abgelenkt und zum Bösen angetrieben werden".[60] Es genügt nicht, an das sittliche Verhalten der Menschen zu appellieren und sie zu einem Leben aus sittlichen Werten zu verpflichten, wenn sie im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alltag Unrecht und Unmenschlichkeit erfahren. Die sittlichen Werte dürfen nicht nur in den Herzen der Menschen verankert sein. Sie müssen auch in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen Geltung haben.
(122) Die Werte, die wir als große Errungenschaft der heutigen Welt bezeichnen, wie Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung für die Schöpfung, dürfen sich nicht in feierlichen Deklarationen erschöpfen. Sie müssen unseren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alltag formen: die Betriebe, die Ortsgemeinden, die sozialen Einrichtungen, die politische Praxis. Wertgebundenes Verhalten darf nicht nur von einzelnen eingefordert werden, Werte müssen auch von den gesellschaftlichen Institutionen bejaht und von ihren Trägern glaubwürdig vorgelebt werden. Mit Recht sagt das II. Vatikanische Konzil: Wenn wir von den Bürgern heute verlangen, daß sie "zur Beteiligung am Leben der verschiedenen Gruppen des Gesellschaftskörpers bereit seien, müssen sie auch in diesen Gruppen Werte finden, die sie anziehen und zum Dienst für andere willig machen".[61]
Gesinnungsreform und Zuständereform - gleichzeitig und in gleicher Intensität: mit diesen Forderungen ist die katholische Soziallehre vor 100 Jahren angetreten. In diesen 100 Jahren ist vieles geschehen. Vieles steht aber noch aus. Was wir für die Zukunft dringend brauchen, ist der Wille zur sozialen Aktion. "Es genügt nicht, allgemeine Grundsätze dem Gedächtnis der Menschen einzuhämmern, gute Vorsätze zu beteuern, schreiende Ungerechtigkeiten anzuprangern, mit prophetischem Freimut Strafgerichte anzukündigen; alles das bedeutet nichts, wenn damit nicht verbunden ist das Ernstnehmen der eigenen Verantwortung und ein entsprechendes entschlossenes Handeln."[62]
V. DER WEG DER KIRCHE
(123) Der Mensch ist der Weg der Kirche, "der Weg ihres täglichen Lebens und Erlebens, ihrer Aufgaben und Mühen".[63] Wir haben in diesem Sozialhirtenbrief versucht, den Weg der Menschen in Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft mitzugehen, ihre "Freude und Hoffnung", ihre "Trauer und Angst" zu teilen und ihr Verlangen nach einem "erfüllten und freien Leben, das des Menschen würdig ist", ernstzunehmen.[64]
Am Schluß unseres Hirtenbriefes schauen wir auf diesen Weg zurück. Wir wollen nicht nur die Welt der Arbeit, der Betriebe, der Verbände und Organisationen ansprechen und sittliche Orientierung geben. Wir wollen auch unseren eigenen Weg bedenken und uns selber verpflichten. Das Sozialrundschreiben über die menschliche Arbeit formuliert diese Verpflichtung in drei Forderungen: die Kirche muß die Würde und die Rechte der Menschen verteidigen; sie muß Situationen aufzeigen, in denen die Menschenwürde verletzt wird; sie muß selbst dazu beitragen, daß die Würde und Rechte des Menschen in Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft verwirklicht werden.[65]
1. Heilsbotschaft und Option für die Armen
(124) Erstens: Der christliche Glaube ist kein soziales Aktionsprogramm. Er ist göttliche Heilsbotschaft, "zugleich Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person".[66] In dieser Berufung zum endzeitlichen Heil besteht die größte Würde des Menschen, und darin gründen letztlich auch seine unverletzlichen Rechte. Wenn die Kirche den Menschen den Glauben verkündet, wenn sie ihnen in den Sakramenten das göttliche Leben vermittelt und vertieft, wenn sie sie durch das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe wegweisend durch den Alltag begleitet, dann leistet sie dadurch einen Beitrag zur Würde und zum Lebensglück der Menschen, der von keinen anderen gesellschaftlichen Kräften gleichwertig vermittelt werden kann. Damit leistet die Kirche aber zugleich auch einen entscheidenden Beitrag zum "Aufbau und zur Festigung" des gesellschaftlichen Lebens.[67] Die Weckung der aus dem gelebten Glauben kommenden Liebesfähigkeit ist vielleicht einer der wertvollsten Dienste der Kirche an der modernen Gesellschaft. An dieser Überzeugung wird die Kirche Österreichs in aller Entschiedenheit festhalten, und aus dieser religiösen Grundlegung wird sie die Würde und die Rechte des Menschen auch im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben am glaubwürdigsten verteidigen können.
(125) Zweitens ist die Kirche auch verpflichtet, Situationen aufzuzeigen, in denen diese Würde und die Rechte des Menschen verletzt werden. Die katholische Soziallehre hat das in ihrem ersten Sozialrundschreiben getan, als sie von einem sklavenähnlichen Los der Industriearbeiter sprach, und sie tat dies in dem letzten Entwicklungsrundschreiben, wo sie "Strukturen der Sünde" ankreidete, die zur Ausbeutung der Dritten Welt wesentlich beitragen.
Aus dieser Verpflichtung ist auch die vorrangige Optioin der Kirche für die Armen zu verstehen. Diese Option ist keine Erfindung sozialer Extremisten, sondern Beispiel und Auftrag Christi. Sie ist keineswegs exklusiv, als ob sie andere Gruppen ausschließen oder benachteiligen wollte. Die Armut ist auch nicht nur materiell, sie kann "in verschiedenem Gewande auftreten".[68] Aber die Option für die Armen ist eindeutig und entschieden und "von der ganzen Tradition der Kirche bezeugt".[69] Sie bedeutet eine Entscheidung zu besonderer Offenheit den Anliegen der Kleinen und Schwachen, den Leidenden und Weinenden, gegenüber denjenigen, die gedemütigt sind und am Rand der Gesellschaft leben müssen, damit ihnen geholfen wird, ihre Würde als Menschen und Kinder Gottes zu erlangen".[70] Die Option für die Armen gilt auch für die Kirche in Österreich. Darum muß sie dort ihre Stimme erheben, wo offen oder verborgen Armut besteht, wo Menschen Unrecht erleiden, wo gesellschaftliche Strukturen Menschen benachteiligen und anderen Privilegien erlauben. Und sie darf dabei nicht warten, bis Not und Armut an sie herangetragen werden. Sie muß auf die Armut zugehen und sie aufdecken.
Wie die Gesamtkirche, muß sich auch die Kirche in Österreich immer wieder kritisch fragen,wie weit sie selber die Option für die Armen ernst nimmt. Es gehört "zur ältesten Lehre und Praxis der Kirche ...' daß sie selbst, ihre Amtsträger und jedes ihrer Glieder durch ihre Berufung dazu angehalten sind, das Elend der Leidenden, ob nah oder fern, nicht nur aus dem 'Überfluß', sondern auch aus dem 'Notwendigen' zu lindern".[71] Auch die Kirche in Österreich muß in dieser Hinsicht zu jener Einsicht bereit sein, die das II. Vatikanische Konzil für die Gesamtkirche ausgesprochen hat: "Auch in unserer Zeit weiß die Kirche, wie groß der Abstand ist zwischen der von ihr verkündeten Botschaft und der menschlichen Armseligkeit derer, denen das Evangelium anvertraut ist. Wie immer auch die Geschichte über all dies Versagen urteilen mag, wir selber dürfen dieses Versagen nicht vergessen, sondern müssen es unerbittlich bekämpfen, damit es der Verbreitung des Evangeliums nicht schade."[72]
(126) Damit ist bereits die dritte Forderung angesprochen: Der positive Beitrag der Kirche zur Verwirklichung der Würde und Rechte des Menschen. Dazu zählen Stellungnahmen zur Vermenschlichung von Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft, wie sie in diesem Sozialhirtenbrief enthalten sind, aber auch all das, was die Kirche in Österreich für die Jugend, die Alten und Kranken, die Behinderten und die gesellschaftlichen Randschichten tut.
2. Unterwegs mit den Menschen
(127) Die unmittelbare gesellschaftspolitische Verantwortung der Kirche in Österreich wollen wir abschließend so formulieren:
Erstens: Wir werden uns in Zukunft noch stärker um eine dem Evangelium entsprechende gesellschaftspolitische Bewußtseinsänderung und Gewissensbildung bemühen müssen. Die großen anstehenden sozialen Probleme wie Arbeitslosigkeit, die Sorge für Alte und Kranke, die Beheimatung von Flüchtlingen und Zuwanderern, die Entwicklung der Völker der Dritten Welt, die Verantwortung für die Schöpfung und die Umwelt können nur gelöst werden, wenn es gelingt, zu einer breiten sozialen Umkehr in der Bevölkerung zu kommen. Niemand gibt sich einer Täuschung hin, wie schwierig es ist, diese Aufgabe zu erfüllen und mit wie vielen Widerständen dabei zu rechnen ist. Mit dem Gebot der Nächstenliebe verfügt die Kirche in ihrer religiösen Botschaft über ein hohes Maß an Begründung und Motivation für innerstaatliche und weltweite Solidarität. Es wird entscheidend darauf ankommen, daß auch in Österreich diese Anliegen in der theologischen Wissenschaft, in der konkreten Seelsorge, in der Predigt, in der Katechese, in der Bildungsarbeit, in der Gemeindepastoral eingebaut bleiben und vertieft werden.
Die Lösung der weltweiten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Probleme verlangt eine ganz neue Zusammenarbeit aller Christen, der großen Religionen der Welt und aller Menschen guten Willens. Wir sind davon überzeugt, daß diese Zusammenarbeit auch für die Lösung innerstaatlicher sozialer, Probleme von großer Bedeutung ist. Dankbar anerkennen wir die bisherigen gemeinsamen Initiativen. Wir werden uns in Zukunft noch mehr bemühen, daß der Geist der Ökumene sich nicht nur auf religiöse Anlässe beschränkt, sondern in zunehmender Weise auch zu gemeinsamen gesellschaftspolitischen Initiativen führt.
(128) Zweitens: Die innerstaatlichen und weltweiten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme sind äußerst komplex geworden. Wenn schon das II. Vatikanische Konzil von der Tatsache der zunehmenden gesellschaftlichen Verflechtung gesprochen hat, so ist dies heute zur weltweiten Wirklichkeit geworden. Wir brauchen deshalb auch in der Kirche in Österreich ein zunehmendes Maß an Sachkenntnis und Kompetenz. Das besagt unter anderem die Förderung von Einrichtungen und Organisationen, die sich aus christlicher Verantwortung und im Auftrag der Kirche für das Studium der gesellschaftlichen Probleme und die Verwirklichung der katholischen Soziallehre einsetzen. Wenn dies heute auch nicht durch Massenorganisationen möglich ist, so ist die Präsenz der Kirche in der modernen Gesellschaft trotzdem von großer Bedeutung. Darum verdienen gerade auch in Österreich jene Männer, Frauen und Jugendlichen ein Wort der Anerkennung, die sich in den vergangenen Jahren diesem Apostolat zur Verfügung gestellt haben und es auch in Zukunft tun werden.
Wir haben in unserem Hirtenbrief versucht, die Grundsätze der katholischen Soziallehre und die Richtung ihrer konkreten Verwirklichung für Österreich aufzuzeigen. Diese Verwirklichung aber verlangt konkrete Initiativen. Wir erwarten im Anschluß an diesen Sozialhirtenbrief von den einzelnen Mitchristen, von den Pfarren und Ordensgemeinschaften, von den katholischen Verbänden, Organisationen und Bewegungen in verstärktem Ausmaß solche Initiativen. Sie sollen im voraus wissen, daß wir ihren Einsatz und ihr Bemühen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen werden.
(129) Drittens: Ebenso aber verdienen alle jene Frauen und Männer die volle Unterstützung der Kirche, die sich als katholische Laien in den verschiedenen Bereichen des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Lebens zum Wohl ihrer Mitmenschen einsetzen. "Die Kirche ... zollt der Arbeit jener, die sich zum Dienst an den Menschen für das Wohl des Staates einsetzen und die Lasten eines solchen Amtes tragen, Anerkennung und Achtung."[73]
Die Kirche in Österreich wird sich immer wieder kritisch befragen müssen, ob sie jenen Männern und Frauen die nötige geistige und geistliche Hilfe zur Verfügung stellt, die sich auf den verschiedenen Ebenen des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens einsetzen. Es genügt nicht, gesellschaftliche Strukturen zu kritisieren und über politische Skandale empört zu urteilen. Wenn der Mensch "der erste und vorrangige"[74] Weg der Kirche ist, dann muß sie gerade jenen ihre begleitende Hilfe anbieten, deren Weg am meisten gefährdet ist.
(130) Viertens: Die Kirche wendet sich mit ihrer Soziallehre nicht nur an die Gläubigen, sondern an alle Menschen guten Willens. Sie ist davon überzeugt, daß die Würde des Menschen und das Wohl der Gesellschaft nur durch die Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Kräfte gesichert werden kann. Auch wenn die Kirche nie ihre religiöse Sendung verfälschen darf, so "bekennt sie doch aufrichtig, daß alle Menschen, Glaubende und Nichtglaubende, zum richtigen Aufbau dieser Welt, in der sie gemeinsam leben, zusammenarbeiten müssen".[75] Die Nachkriegsjahre haben gezeigt, wie entscheidend der wirtschaftliche, gesellschaftliche und geistig-kulturelle Aufbau von der Zusammenarbeit aller gesellschaftlichen Kräfte des Landes abhängt. Die Kirche in Österreich hat sich an dieser Zusammenarbeit beteiligt, und sie wird auch in Zukunft den Dialog mit allen gesellschaftlichen Kräften aufrecht erhalten und verstärken. Die Kirche in Österreich wird auch in Zukunft allen Wert darauf legen, daß ihre Sendung unverfälscht religiöser Natur bleibt und daß sie daher "an kein besonderes politisches, wirtschaftliches oder gesellschaftliches System gebunden ist".[76]
Die Kirche wird aber auch daran festhalten müssen, daß sie aus ihrer religiösen Sendung das Recht und die Pflicht ableitet, für die Würde und Rechte des Menschen auch im öffentlichen Leben einzutreten. Sie wird das gelegen oder ungelegen tun, nicht aus politischer Herrschsucht oder aus dem Streben nach Privilegien, sondern aus Treue zu ihrem Auftrag, mit der Haltung des Dialogs und des Dienstes.
Dieses Bekenntnis zur verantwortlichen Mitarbeit bedeutet für die Kirche gerade im 35. Gedenkjahr der wiedererlangten Freiheit Österreichs eine neue Verpflichtung. Wir Wissen aus der Erinnerung an die Tragödie der Unfreiheit unseres Landes, wie sehr es darauf ankommt, daß alle gesellschaftlichen Kräfte rechtzeitig und mit eindeutiger Entschiedenheit den demokratischen Staat um des Menschen willen verteidigen. Wir wollen uns im Blick auf die Zukunft keiner falschen Sicherheit hingeben. Wir wollen uns als Bischöfe verpflichten, unsere Brüder und Schwestern in ihrem Einsatz für die Sicherung, Entwicklung und Verteidigung unserer staatlichen Ordnung zu bestärken.
(131) Fünftens: Wir befinden uns am Ende des zweiten Jahrtausends in der Welt eines unvorhergesehenen Umbruchs: Weltanschauungen, die ein Jahrtausend prägen wollten, brachen zusammen. Politische Systeme, die als unveränderlich galten, wurden aufgebrochen. Mauern wurden abgetragen und Völker gehen aufeinander zu. Die Zukunft zeigt sich reich an Möglichkeiten und Hoffnungen, aber auch bedroht von Ratlosigkeit und der Gefahr des Rückfalls.
Wie die Gesamtkirche, so sind wir Bischöfe mit unseren Brüdern und Schwestern davon überzeugt, daß unsere soziale Botschaft nur dann glaubwürdig ist, wenn sie in die Praxis umgesetzt wird. Das bedeutet, daß Christen im Angesicht der neuen innerstaatlichen und weltweiten Herausforderung immer wieder aus der Lethargie der Gewohnheit und der sozialen Trägheit aufbrechen und gesellschaftspolitisch tätig werden, daß sie bereit sind, dafür auch Widerstand und Verfolgung in Kauf zu nehmen. So haben es die großen Heiligen unserer Kirche getan, so tun es auch heute noch Männer und Frauen im sozialen und politischen Einsatz.
(132) Wir wollen es am Schluß unseres Sozialhirtenbriefes im Namen unserer Brüder und Schwestern sagen: Wir Katholiken in Österreich sind bereit, uns diesen Herausforderungen zu stellen. Wir wissen um den Glauben unserer Brüder und Schwestern, aus dem sie immer wieder die Kraft schöpften, Krisen zu bewältigen und aufeinander zuzugehen. Sie werden auch den Weg zu einer neuen Vermenschlichung von Arbeit, Wirtschaft und Gesellschaft finden. Die Menschen unseres Landes haben sich trotz aller Anfechtungen nie in einem egoistischen Wohlstandsdenken abgeschlossen. Sie wissen auch heute um ihre weltweite Verantwortung und sind bereit, dafür Opfer zu bringen. Sie tun dies im Vertrauen auf die Hilfe des Herrn, der uns die Zusage gegeben hat: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40). Und gedenken dabei der Worte Mariens: "Was er euch sagt, das tut!" (Joh 2,5)
So gehen wir Christen den Weg in das dritte Jahrtausend: den Weg der inneren Solidarität und den Weg der weltweiten Verantwortung. So sind wir als Kirche unterwegs mit den Menschen, denn durch Christus ist der Weg der Menschen auch der Weg der Kirche.
Wien, am 15. Mai 1990
+ Hans Hermann Kardinal Groer
Erzbischof von Wien
Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz
+ Georg Eder
Erzbischof von Salzburg
+ Stefan László
Bischof von Eisenstadt
+ Franz Zak
Bischof von St. Pölten
+ Johann Weber
Bischof von Graz-Seckau
+ Reinhold Stecher
Bischof von Innsbruck
+ Maximilian Aichern
Bischof von Linz
+ Egon Kapellari
Bischof von Gurk-Klagenfurt
+ Alfred Kostelecky
Militärordinarius
+ Klaus Küng
Bischof von Feldkirch
+ Kassian Lauterer
Abt von Wettingen-Mehrerau
+ Karl Moser
Weihbischof von Wien
+ Jakob Mayr
Weihbischof von Salzburg
+ Helmut Krätzl
Weihbischof von Wien
+ Florian Kuntner
Weihbischof von Wien
+ Kurt Krenn
Weihbischof von Wien
Anmerkungen
[1] Christus Dominus 13 - Über die Hirtenaufgabe der Bischöfe in der Kirche (1965).
[2] Rerum novarum 13.
[3] Aktionsteam zur Vorbereitung des Sozialhirtenbriefes der österreichischen Bischöfe (Hg.), Sinnvoll arbeiten - solidarisch leben. Grundtext zur Diskussion, Linz, September 1988.
[4] Aktionsteam zur Vorbereitung des Sozialhirtenbriefes der österreichischen Bischöfe (Hg.), Sinnvoll arbeiten - solidarisch leben. Zusammenfassung der Stellungnahmen, Linz, November 1989.
[5] Gaudium et spes 36.
[6] Octogesima adveniens 1.
[7] Gaudium et spes 42.
[8] Quadragesimo anno 130.
[9] Quadragesimo anno, Überschrift.
[10] Mater et magistra 222.
[11] Octogesima adveniens 4.
[12] Lumen gentium 33.
[13] Gaudium et spes 43.
[14] Sollicitudo rei socialis 36.
[15] Ebd.
[16] Laborem exercens 9.
[17] Laborem exercens 10.
[18] Gaudium et spes 64.
18a Gaudium et spes 63.
[19] Sollicitudo rei socialis 15.
[20] Rerum novarum 2.
[21] Sollicitudo rei socialis 15.
[22] Laborem exercens 15.
[23] Mater et magistra 82.
[24] Laborem exercens 20.
[25] Ebd.
[26] Gaudium et spes 68.
[27] Laborem exercens 20.
[28] Octogesima adveniens 14.
[29] Laborem exercens 15.
[30] Johannes Paul II., Ansprache in Bottrop am 2.5.1987.
[31] Mater et magistra 74.
[32] Laborem exercens 19.
[33] Quadragesimo anno 61.
[34] Botschaft Johannes Pauls II. zum Weltfriedenstag 1990.
[35] Ebd.
[36] Ebd.
[37] Ebd.
[38] Gaudium et spes 25.
[39] Divini redemptoris 29 - Über den Kommunismus.
[40] Besonders: Familiaris consortio - Über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute (1981).
[41] Lumen gentium 11.
[42] Gaudium et spes 47.
[43] Familiaris consortio 45.
[44] Pacem in terris 40.
[45] Besonders: Mulieris dignitatem - Über die Würde und Berufung der Frau (1988).
[46] Christifideles laici 49.
[47] Laborem exercens 19.
[48] Ebd.
[49] Christifideles laici 49.
[50] Ansprache an die katholischen Juristen vom 22.11.1981, in: L'Osservatore Romano vom 10.2.1983.
[51] Gaudium et spes 35.
[52] Populorum progressio 3.
[53] Sollicitudo rei socialis 47.
[54] Gaudium et spes 79.
[55] Vgl. auch Gaudium et spes 78.
[56] Gaudium et spes 35.
[57] Gaudium et spes 22.
[58] Gaudium et spes 3.
[59] Vgl. Pastoralkonstitution Gaudium et spes 47-52; das Rundschreiben Humanae vitae vom 25.7.1968 und das Apostolische Schreiben Familiaris consortio vom 22.11.1981.
[60] Gaudium et spes 25.
[61] Gaudium et spes 31.
[62] Octogesima adveniens 48.
[63] Redemptor hominis 14.
[64] Gaudium et spes 1 und 9.
[65] Laborem exercens 1.
[66] Gaudium et spes 76.
[67] Gaudium et spes 42.
[68] Laborem exercens 8.
[69] Sollicitudo rei socialis 42.
[70] Johannes Paul II., Ansprache an die brasilianischen Bischöfe vom 31.7.1980.
[71] Sollicitudo rei socialis 31.
[72] Gaudium et spes 43.
[73] Gaudium et spes 75.
[74] Gaudium et spes 21.
[75] Gaudium et spes 42.
[76] Ebd.